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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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besonders raffinierte Nuance des Bösen – andere Kinder, weshalb sich die Acholi mit Gegenmaßnahmen zurückhielten, um nicht einen ihrer eigenen Angehörigen umzubringen oder zu verletzen.
    Diese »Lord’s Resistance Army« (»Widerstandsarmee des Herrn«, kurz LRA) wurde von einem Mann namens Joseph Kony angeführt, einem ehemaligen Messdiener, der das Gebiet unter die Herrschaft der Zehn Gebote stellen wollte. Er taufte mit Öl und Wasser, veranstaltete grausame Bestrafungs- und Reinigungszeremonien und versicherte seine Anhänger gegen den Tod. Sein Christentum war fanatisch. Auch das Rehabilitationszentrum, in dem ich saß, wurde von einer fundamentalistischen christlichen Organisation betrieben. Nachdem ich in den Busch gegangen und mir die Arbeit der LRA angesehen hatte, kam ich mit dem Mann, der die Schäden zu beheben versuchte, ins Gespräch. Wie könne er wissen, fragte ich ihn, welcher von ihnen den aufrichtigeren Glauben habe? Jede säkulare oder staatliche Organisation könne leisten, was er tat – Prothesen anpassen, Schutz bieten, beraten –, doch um ein Joseph Kony zu sein, müsse man doch sicher den wahren Glauben besitzen?
    Zu meiner Überraschung tat er meine Frage nicht ab. Ja, sagte er, Kony beziehe seine Autorität zum Teil daraus, dass er aus einer christlichen Predigerfamilie stammte. Die Leute glaubten auch tatsächlich, er könne Wunder vollbringen, denn er rief die Geisterwelt an und versprach seinen Anhängern Immunität gegen den Tod. Selbst von denen, die ihm davongelaufen waren, schworen einige noch immer, dass sie den Mann hatten Wunder vollbringen sehen. Ein Missionar könne nur versuchen, den Menschen ein anderes Bild vom Christentum zu vermitteln.
    Die Offenheit des Mannes beeindruckte mich. Er hätte auch anders argumentieren können. Joseph Kony ist vom christlichen »Mainstream« meilenweit entfernt. Seine Zahlmeister und Waffenlieferanten sind die zynischen Muslime des sudanesischen Regimes, die ihn benutzen, um die Regierung von Uganda zu reizen, die wiederum die Rebellengruppen im Sudan unterstützt. Kony untersagte dafür das Halten und Verzehren von Schweinen, was, wenn er auf seine alten Tage nicht gerade fundamentalistischer Jude geworden ist, als Zugeständnis an seine Geldgeber verstanden werden muss. Diese sudanesischen Mörder führen wiederum seit Jahren einen Vernichtungskrieg nicht nur gegen die Christen und Animisten im Südsudan, sondern auch gegen die nichtarabischen Muslime der Provinz Darfur. Offiziell unterscheidet der Islam nicht zwischen Rassen und Nationen, doch die Schlächter in Darfur sind arabische Muslime, ihre Opfer afrikanische Muslime. Die »Lord’s Resistance Army« eröffnet in diesem großen Horrorszenario nichts anderes als einen christlichen Nebenkriegsschauplatz nach Art der Roten Khmer.
    Ein noch plastischeres Beispiel liefert Ruanda, das der Welt 1992 ein neues Synonym für Völkermord und Sadismus präsentierte. Die ehemalige belgische Kolonie ist das christlichste Land Afrikas mit dem höchsten Anteil an Kirchen pro Kopf der Bevölkerung. Fünfundsechzig Prozent der Ruander sind römisch-katholisch, weitere fünfzehn Prozent gehören einer der vielen protestantischen Religionsgemeinschaften an. Der Ausdruck »pro Kopf« nahm 1994 eine makabre Bedeutung an, als die rassistischen Milizen der Hutu-Power, angestachelt von Staat und Kirche, gezielt über ihre Nachbarn, die Tutsi, herfielen und sie massenhaft abschlachteten.
    Das war kein atavistischer Blutrausch, sondern die kaltblütig geplante afrikanische Version der Endlösung, die schon geraume Zeit in Vorbereitung gewesen war. Eine frühe Warnung gab es im Jahr 1987, als ein katholischer Visionär damit prahlte, Stimmen und Visionen der Jungfrau Maria gewahr zu werden. Diese Bilder waren erschütternd blutig, prophezeiten Massaker und die Apokalypse, aber auch – wie zum Ausgleich – die Rückkehr Jesu Christi am Ostersonntag 1992. Marienerscheinungen auf einem Hügel namens Kibeho wurden von der katholischen Kirche untersucht und anerkannt. Die Frau des ruandischen Präsidenten, Madame Agathe Habyarimana, war besonders fasziniert von diesen Visionen; sie unterhielt eine enge Beziehung zum Bischof der ruandischen Hauptstadt Kigali, Monsignor Vincent Nsengiyumva, der überdies Mitglied des Zentralkomitees von Präsident Habyarimanas herrschender Partei MRND war (Nationale Revolutionäre Bewegung für den Fortschritt). Die MRND verhaftete, gemeinsam mit anderen staatlichen Organen,

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