Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
deutlich, dass just die schlimmsten Auswüchse seinem Glauben entsprangen. Lassen wir die traurigen Exzesse der Trunkenheit und der ehelichen Untreue einmal beiseite. Einer geschiedenen und frisch wiederverheirateten Freundin schickte er einmal ein Hochzeitstelegramm, in dem er ihr mitteilte, mit ihrer Hochzeitsnacht mache sie Jesus auf dem Berg Golgatha noch einsamer und spucke ihm ins Gesicht. Waugh unterstützte faschistische Bewegungen in Spanien und Kroatien ebenso wie Mussolinis üble Invasion Abessiniens, weil sie vom Vatikan gutgeheißen wurden, und 1944 schrieb er, nur das Dritte Reich stehe nun noch zwischen Europa und der Barbarei. Diese Entgleisungen unterliefen dem von mir hoch geschätzten Autor nicht trotz seines Glaubens, sondern infolge seines Glaubens. Zweifellos gab es immer private Akte der Nächstenliebe und der Reue, die aber ein ungläubiger Mensch ebenso gut hätte vollbringen können. Der große Colonel Robert Ingersoll, bis zu seinem Tode im Jahr 1899 einer der führenden Agnostiker der USA, brachte seine Gegner dadurch in Rage, dass er ein überaus großzügiger Mensch war, ein liebender und treuer Ehemann und Vater, ein tapferer Offizier und einer, der, wie Thomas Edison es in verzeihlicher Übertreibung formulierte, »alle Eigenschaften eines perfekten Menschen« in sich vereinigte. Ich selbst bin in Washington in jüngster Zeit mit obszönen und drohenden Anrufen von Muslimen bombardiert worden, in denen meiner Familie Strafe angekündigt wurde, weil ich nicht bereit war, mich an einer Lügen-, Hass- und Gewaltkampagne gegen das demokratische Dänemark zu beteiligen. Doch als meine Frau einmal versehentlich einen größeren Geldbetrag auf dem Rücksitz eines Taxis liegen ließ, fand der sudanesische Taxifahrer unter größter Mühe heraus, wem das Geld gehörte, und brachte es uns in voller Höhe bis an die Haustür zurück. Als ich den geschmacklosen Fehler beging, ihm zehn Prozent des Betrags anzubieten, stellte er unmissverständlich klar, dass er für die Erfüllung seiner islamischen Pflicht keine Gegenleistung erwarte. Auf welche dieser beiden Versionen des Glaubens soll man sich nun verlassen?
Diese Frage lässt sich nicht abschließend beantworten. Mir ist es lieber, Evelyn Waughs Prosa steht in meinem Regal, so wie sie ist, und ich weiß, dass die Romane nicht ohne die Qualen und Sünden des Autors zu haben sind. Und wenn sich alle Muslime verhielten wie der Mann, der einen guten Wochenlohn in den Wind schlug, nur um das Richtige zu tun, dann wären mir die bizarren Vorgaben des Korans völlig gleichgültig. Wenn ich mein eigenes Leben auf gute Taten und großzügiges Verhalten abklopfe, komme ich auf kein überwältigendes Ergebnis. In Sarajevo nahm ich mir einmal, zitternd vor Angst, meine kugelsichere Weste ab und überließ sie einer Frau, die ich mit in Sicherheit bringen sollte und die noch mehr Angst hatte als ich – übrigens bestimmt nicht das einzige Beispiel dafür, dass es in Schützengräben sehr wohl Atheisten gibt. Damals meinte ich, es sei das Mindeste, was ich für sie tun könne, und zugleich das Beste. Diejenigen, die uns mit Granaten und Gewehren beschossen, waren übrigens serbische Christen, aber das war sie ja auch.
Im Norden Ugandas saß ich Ende 2005 in einem Rehabilitationszentrum für entführte und versklavte Kinder im Lande der Acholi, die nördlich des Nils leben. Um mich herum waren lauter lustlose, leere und verhärtete kleine Jungs (und auch ein paar Mädchen).
Ihre Geschichten glichen einander auf schreckliche Weise. Milizionäre mit versteinerten Gesichtern, die ihrerseits als Kinder entführt worden waren, hatten sie im Alter zwischen acht und dreizehn Jahren aus ihren Schulen oder Häusern weggefangen. Man brachte sie in den Busch und machte sie in einer gewaltsamen »Initiation« zu Mitgliedern der Truppe. Es gab zwei Methoden: Entweder sie mussten sich selbst an einem Mord beteiligen, sich »schmutzig machen« und so zu Komplizen werden, oder man peitschte sie brutal aus, häufig mit bis zu dreihundert Hieben. »Kinder, die solche Grausamkeit am eigenen Leib erlebt haben«, sagte einer der Stammesältesten der Acholi, »bringen es leicht fertig, sie anderen zuzufügen.« Das Leid, das diese Armee aus zu Zombies mutierten Knirpsen über die Menschen brachte, ist unermesslich. Die Kinder zerstörten Dörfer, trieben einen Teil der Bevölkerung in die Flucht, verstümmelten Menschen, schlitzten ihnen den Bauch auf und entführten – eine
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