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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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die malaiische Halbinsel und Burma eingenommen hatte und an den Grenzen Indiens stand. In der (falschen) Annahme, dies sei das Ende der britischen Herrschaft in Indien, wählte Gandhi diesen Moment für seinen Boykott der politischen Verhandlungen und seine berühmte Forderung nach dem Abzug der Briten: »Quit India.« Sie mögen das Land »Gott oder der Anarchie« überlassen, fügte er hinzu, was unter den gegebenen Umständen etwa auf dasselbe hinausgelaufen wäre. Wer Gandhi in aller Naivität einen überzeugten oder konsequenten Pazifismus unterstellt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er es damit nicht den japanischen Imperialisten überließ, das Kämpfen für ihn zu erledigen.
    Die Entscheidung Gandhis und der Kongresspartei, sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen, hatte neben einer ganzen Reihe anderer schlimmer Konsequenzen zur Folge, dass die Anhänger der Muslimischen Liga in den von ihnen kontrollierten Ministerien ausharrten und damit eine starke Verhandlungsposition innehatten, als kurz darauf die Unabhängigkeit anstand. Ihre Forderung, diese mit einer Verstümmelung oder Amputation einhergehen zu lassen, indem man Westpundschab und Ostbengalen abhackte, ließ sich nicht mehr abwenden. Die entsetzlichen Folgen halten bis zum heutigen Tage an: Blutbäder zwischen Muslimen in Bangladesch 1971, der Aufstieg einer aggressiven nationalistischen Hindupartei in Indien und ein Krieg in Kaschmir, der nach wie vor der wahrscheinlichste Auslöser eines Atomkriegs ist.
    Eine Alternative hatte es immer gegeben: Die beiden säkular orientierten Politiker Nehru und Rajagopalachari hätten mit den Briten im Gegenzug für deren Versprechen, Indien unmittelbar nach dem Krieg in die Unabhängigkeit zu entlassen, eine gemeinsame Allianz gegen den Faschismus gegründet. Es war Nehru und nicht Gandhi, der sein Land in die Unabhängigkeit führte, wenn auch zum schrecklichen Preis der Teilung. Jahrzehntelang hatte ein stabiles Bündnis aus britischen und indischen Säkularisten und Linken der Befreiung Indiens argumentativ den Boden bereitet. Es war absolut überflüssig, dass ein religiöser Obskurantist die Sache an sich riss, verschleppte und verzerrte. Die Unabhängigkeit hätte auch völlig ohne diese Übernahme funktioniert. Es vergeht kein Tag, an dem man sich nicht wünschte, Martin Luther King hätte weitergelebt und die amerikanische Politik mit seiner Präsenz und seiner Weisheit bereichert. Auch Mahatma, von Angehörigen einer fanatischen Hindusekte ermordet, denen er nicht gottesfürchtig genug war, wäre zu wünschen gewesen, dass er noch hätte erleben können, welchen Schaden er angerichtet hat – andererseits hätte er dann womöglich sein lächerliches Spinnradprogramm noch in die Tat umgesetzt.

    Die Behauptung, die Menschen würden durch die Religion besser und die Gesellschaft zivilisierter, wird meist dann aufgestellt, wenn alle anderen Argumente erschöpft sind: Also gut, wir bestehen ja gar nicht auf dem Exodus oder der jungfräulichen Empfängnis oder auch nur auf der Wiederauferstehung Christi oder der nächtlichen Flucht Mohammeds von Mekka nach Jerusalem. Aber wo wären denn die Menschen ohne den Glauben? Würden sie nicht der Zügellosigkeit und dem Egoismus anheimfallen? Ist es denn nicht so, wie G. K. Chesterton formulierte, dass die Menschen, wenn sie nicht mehr an Gott glauben, nicht etwa an nichts glauben, sondern an alles mögliche?
    Darauf sei zunächst erwidert, dass das tugendhafte Verhalten eines gläubigen Menschen kein Beweis oder auch nur ein Argument für die Aufrichtigkeit seines Glaubens ist. Dieser Argumentation zufolge wäre ich ein wohltätigerer Mensch, wenn ich daran glaubte, dass Buddha durch eine seitliche Öffnung im Oberkörper seiner Mutter zur Welt kam. Aber wäre meine Wohltätigkeit damit nicht abhängig von einer recht dürftigen Prämisse? Andersherum diskreditiert es ja auch nicht den Buddhismus, wenn ein buddhistischer Priester die von den einfachen Leuten im Tempel geopferten Gaben mitgehen lässt. Und vergessen wir nicht, wie zufällig das alles entstanden ist. Von den Tausenden möglicher Wüstenreligionen hat, ähnlich wie bei den Millionen möglicher Spezies, ein Zweig Wurzeln geschlagen und ist gediehen. Er durchlief jüdische Mutationen, nahm christliche Form an und wurde von Kaiser Konstantin aus politischen Gründen zu einer offiziellen Religion erhoben, die, ausgehend von vielen chaotischen und widersprüchlichen Büchern, eine kodifizierte

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