Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
stärker betont als in Dr. Trelawneys Kreis, und eindeutig wurde mehr Wert auf Sex gelegt, im Sinne des Wortes. Doch im Großen und Ganzen war die Lehre harmlos. Oder sie wäre es gewesen, hätte am Eingang zum Predigtzelt des Bhagwan nicht ein Schild gehangen, das mich ein ums andere Mal ärgerte: »Schuhe und Verstand bitte am Eingang ablegen.« Daneben befand sich ein Haufen Schuhe und Sandalen, und in meinem transzendenten Zustand sah ich zur Vervollständigung des buchstäblich hirnlosen Mottos einen Haufen abgelegter und leerer Gehirne vor meinem inneren Auge. Ich versuchte mich sogar in der Parodie eines Zen-Koan: »Was ist der Anblick eines abgelegten Verstandes?«
Für den seligen Besucher oder Touristen war der Aschram nach außen hin ein wunderbarer spiritueller Rückzugsort, in dem man sich vor exotischer und luxuriöser Kulisse über das Jenseits austauschen konnte. Doch im heiligen Bezirk herrschte, wie ich bald merkte, ein übles System. Auf der Suche nach Rat und Hilfe kamen viele verletzte und verstörte Menschen nach Poona. Die nicht wenigen Wohlhabenden unter ihnen – zu den Klienten oder Pilgern gehörte auch einer, der weitläufig mit der britischen Königsfamilie verwandt war – wurden zunächst einmal gedrängt, sich von ihren gesamten materiellen Besitztümern zu trennen, wie es auch in vielen anderen Religionen geschieht. Wie häufig diesem Wunsch nachgekommen wurde, ließ sich an der Rolls-Royce-Flotte ablesen, die vom Bhagwan unterhalten wurde und als weltweit größte Sammlung dieser Art galt. Nachdem sie relativ forsch um ihr Hab und Gut gebracht worden waren, wurden die Eingeweihten in »Gruppensitzungen« überstellt, wo das richtig hässliche Geschäft losging.
Wolfgang Dobrowolnys Film Aschram in Poona, der heimlich von einem früheren Anhänger gedreht und für meinen Dokumentarfilm adaptiert wurde, zeigt den »spielerischen« Begriff kundalini in einem neuen Licht. In einer repräsentativen Szene wird eine junge Frau ausgezogen und von Männern umzingelt, die ihr ihre körperlichen und psychischen Unzulänglichkeiten ins Gesicht brüllen, bis sie in ihrem Elend in Tränen ausbricht und um Verzeihung bittet. Nun wird sie umarmt und getröstet und erfährt, dass sie fortan »eine Familie« hat. Schluchzend und erleichtert tritt sie demütig der Gruppe bei. Es war übrigens nicht ganz klar, was sie tun musste, um ihre Kleider wiederzubekommen, doch auch dazu sind mir glaubhafte und unschöne Dinge zu Ohren gekommen. In anderen Sitzungen, in denen man sich mit Männern befasste, ging es so rau zu, dass es zu Knochenbrüchen und Todesfällen kam: Der deutsche Prinz aus dem Hause Windsor ward nie mehr gesehen; sein Körper wurde eiligst verbrannt, ohne dass man sich die Mühe einer Autopsie gemacht hätte.
Mir wurde in respektvollem und ehrfürchtigem Ton mitgeteilt, dass »der Körper des Bhagwan unter Allergien leidet«. Nicht lange nach meinem Aufenthalt dort nahm er Abschied vom Aschram und beschloss dann offenbar, dass er für seine irdische Hülle keine weitere Verwendung hatte. Was aus der Rolls-Royce-Sammlung wurde, habe ich nie erfahren, doch seine Anhänger erhielten den Auftrag, sich in den ersten Monaten des Jahres 1983 in der kleinen Stadt Antelope, Oregon, einzufinden. Sie folgten der Aufforderung, allerdings in einer mittlerweile lange nicht mehr so pazifistischen und entspannten Haltung. Die Einwohner von Antelope beobachteten irritiert, wie in unmittelbarer Nachbarschaft ein befestigter Gebäudekomplex errichtet wurde, bewacht von Sicherheitskräften, die in orangefarbene Gewänder gehüllt waren und keinen Spaß verstanden. Es handelte sich offenbar um den Versuch, Raum für einen neuen Aschram zu schaffen. Grotesk wurde es, als sich herausstellte, dass in einem Supermarkt von Antelope Lebensmittel vergiftet worden waren. Nach fortgesetzten gegenseitigen Beschuldigungen zerbrach die Kommune und zerstreute sich in alle Winde. Hin und wieder begegne ich noch ehemaligen Anhängern mit leeren Augen, die vor der langen und irreführenden Indoktrination durch den Bhagwan geflohen waren. Er selbst soll als Osho wiedergeboren worden sein, zu dessen Ehre bis vor wenigen Jahren eine dümmliche Hochglanzzeitschrift erschien. Wahrscheinlich gibt es noch Überreste seiner Anhängerschaft. Die Bewohner von Antelope, Oregon, sind jedenfalls meiner bescheidenen Ansicht nach nur knapp an der Berühmtheit derer von Jonestown vorbeigeschrammt.
»El sueño de la razón produce
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