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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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oder nicht. Das liegt daran, dass Religionen nur unter dem Einfluss fanatischer Menschen wie Mose, Mohammed oder Joseph Kony entstehen und gedeihen konnten, während die Wohltätigkeitsarbeit und die humanitäre Hilfe zwar auch gutherzige Gläubige ansprechen, im Grunde aber ein Erbe des Modernismus und der Aufklärung sind. Zuvor verbreitete sich die Religion nicht dank ihrer Vorbildfunktion, sondern als flankierende Maßnahme eher altmodischer Methoden: Heiliger Krieg und Imperialismus.
    Ich war ein verhaltener Bewunderer des verstorbenen Papst Johannes Pauls II., der nach menschlichem Maßstab tapfer und aufrecht war und sowohl moralischen als auch körperlichen Mut zu zeigen vermochte.
    Als junger Mann engagierte er sich in seinem Heimatland für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, und in seinem späteren Leben trug er viel zur Befreiung Polens von der Sowjetherrschaft bei. Seine Amtszeit als Papst war in mancherlei Hinsicht schockierend konservativ und autoritär, doch Wissenschaft und Forschung stand er – außer wenn es um das Aids-Virus ging – aufgeschlossen gegenüber, und sogar beim Dogma zur Abtreibung machte er einige Zugeständnisse an eine »Lebensethik«, der zufolge nun beispielsweise die Todesstrafe fast immer als falsch gilt. Nach seinem Tod wurde Papst Johannes Paul unter anderem zugute gehalten, wie oft er Entschuldigungen ausgesprochen hatte. Leider war die Buße für die etwa eine Million Menschen, die in Ruanda ermordet wurden, nicht darunter. Allerdings entschuldigte sich der Papst bei den Juden für den Jahrhunderte währenden Antisemitismus, bei der muslimischen Welt für die Kreuzzüge, bei den orthodoxen Christen im Osten für die zahlreichen Verfolgungen, mit denen Rom sie überzogen hatte, und er bereute auch die Inquisition. Das war wohl so zu verstehen, dass die Kirche in der Vergangenheit hauptsächlich Fehler begangen und oft kriminell gehandelt hatte, nun aber durch die Beichte von ihren Sünden befreit war und fortan wieder unfehlbar sein konnte.

Kapitel vierzehn:

Es gibt keine »fernöstliche« Lösung

Die Krise der organisierten Religion im Westen und ihre tendenzielle Unterschreitung des moralischen Durchschnitts haben besorgte »Suchende« oft dazu veranlasst, östlich des Suezkanals nach einer sanfteren Lösung Ausschau zu halten. Sogar ich habe mich einmal solchen potenziellen Adepten und Anhängern angeschlossen: Ich hüllte mich in ein orangefarbenes Gewand und besuchte den Aschram des gefeierten Gurus in Poona (oder Pune) in den wunderschönen Bergen oberhalb von Bombay. Ich schaltete nur in den Sannyasin-Modus, weil ich an einem Dokumentarfilm für die BBC arbeitete, weshalb meine Objektivität zweifelhaft erscheinen mag, doch die BBC hatte damals einen hohen Fairness-Anspruch, und mein Auftrag lautete, möglichst viele Eindrücke mitzunehmen. (Eines Tages werde ich – nachdem ich im Laufe meines Lebens zunächst als Anglikaner eine Methodistenschule besuchte, durch meine Heirat Mitglied der griechisch-orthodoxen Kirche wurde, bei Anhängern des Sai Baba als dessen Inkarnation galt und von einem Rabbi wiederverheiratet wurde – versuchen, William James’ Vielfalt religiöser Erfahrung auf den neuesten Stand zu bringen.)
    Besagter Guru war der Bhagwan Shree Rajneesh. »Bhagwan« heißt einfach gut oder göttlich, »Shree« bedeutet heilig. Der Bhagwan war ein Mann mit großen schwermütigen Augen, einem bezaubernden Lächeln und einem natürlichen, wenn auch etwas zotigen Sinn für Humor. Seine zischelnde Stimme, die anlässlich des frühmorgendlichen Darshan gedämpft durch das Mikrofon drang, hatte eine leicht hypnotische Wirkung, die dazu angetan war, die nicht weniger hypnotische Plattitüdenhaftigkeit seiner Reden ein wenig abzuschwächen. Wer Anthony Powells gewaltige zwölfbändige Romanreihe A Dance to the Music of Time gelesen hat, kennt den rätselhaften Seher Dr. Trelawney, der mit einer Gruppe erleuchteter Anhänger diversen Kalamitäten trotzt. Die Eingeweihten tragen keine besondere Tracht, sondern erkennen einander durch den Austausch von Bekenntnissen. Wenn sich zwei begegnen, muss der eine sagen: »Die Essenz des Allen ist die Göttlichkeit des Wahren.« Die angemessene Antwort darauf lautet: »Die Vision der Visionen lindert die Blindheit des Sehens.« Damit ist der spirituelle Handschlag vollzogen. Als ich im Schneidersitz vor dem Bhagwan kauerte, bekam ich keine profunderen Worte zu hören. Die Liebe, im Sinne der Ewigkeit, wurde

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