Der Herr vom Rabengipfel
Schluchzen geschüttelt. Merrik wußte nur zu gut, was mit verwaisten Sklavenkindern geschah. Die meisten verhungerten oder waren einem noch grausameren Schicksal überlassen. Dieses Kind durfte nicht sterben, beschloß Merrik und nahm es bei der kleinen, dreckverkrusteten Hand. Der Kleine war weniger ausgemergelt als sein Bruder, und Merrik ahnte den Grund. Der ältere hatte ihm sein Essen gegeben. »Du kommst mit mir, Taby. Ich bringe dich von hier fort. Hab' Vertrauen zu mir.«
Das Kind erschauerte unter seinen Worten, ohne den Kopf zu heben.
»Glaub mir, Taby. Ich tu dir nichts. Ich verspreche es dir.«
»Mein Bruder«, flüsterte er, hob den Kopf und blickte Merrik hoffnungsvoll an. »Mein Bruder ist fort. Was wird aus ihm?«
»Komm«, sagte Merrik. »Vertrau mir.« Er nahm ihn an die Hand und entfernte sich.
Bald war Merrik mit Valai, dem zwergenwüchsigen Händler, der unentwegt blinzelte und blitzschnell rechnen konnte, handelseinig. Valai war eigentlich nicht grausam, nur sehr geschäftstüchtig. »Ihr seht mir nicht aus wie ein Päderast«, sagte er abschätzend zu Merrik. »Der bringt Euch keine Freude. Mit ihm habt Ihr nur eine Last.«
»Ich will ihn trotzdem.«
»Vielleicht würde er einen Käufer finden, der ihn gut füttert, wenn er ihm zu Willen ist. Bei so einem hätte er kein schlechtes Leben.«
Merrik schluckte seinen aufsteigenden Zorn hinunter. Bestenfalls würde dem Kleinen immer wieder Gewalt angetan, bis er gelernt hatte, reichen Arabern als Lustknabe zu dienen, die sexuelle Befriedigung bei Männern wie Frauen suchten. Einmal zum Mann herangewachsen und als Lustknabe nicht mehr tauglich, würde Taby auf den Feldern arbeiten, bis er vor Erschöpfung tot umfiel. Das wollte Merrik nicht zulassen. Er würde sich später Gedanken darüber machen, was er mit seinem Neuerwerb anfangen würde. Er bezahlte Valai und hielt nach Oleg Ausschau.
Falls Oleg ihn für verrückt hielt, behielt er es für sich. Er blickte nur grinsend auf den Kleinen hinunter und rieb sich die Hände. Oleg war immer für ein Abenteuer zu haben, und dieser Ausflug versprach abenteuerlich zu werden.
Kapitel 2
Thrasco, ein reicher schwedischer Pelzhändler, der sich in Kiew niedergelassen hatte, war auf die Qualität seiner Waren ebenso stolz wie auf sein Geschick im Umgang mit Schmiergeldern. Mit einem grimmigen Lächeln warf er dem Sklaven Cleve die Peitsche zu, der sich den ausgemergelten, mit blutigen Striemen durchzogenen Rücken des gezüchtigten Burschen betrachtete.
Zu fett, um in die Knie zu gehen, beugte Thrasco sich ein wenig vor und keuchte bereits bei dieser geringen Anstrengung: »Begreifst du jetzt, daß du für den geringsten Ungehorsam schwer bestraft wirst? Ich peitsche dich solange aus, bis dir das Fleisch von deinen mageren Rippen platzt. Ist das klar?«
Der Junge nickte.
Thrasco war zufrieden. Und er war erleichtert. Er hatte ein hübsches Sümmchen für den Jungen bezahlt und wollte ihn nicht töten, aber für die Fausthiebe auf dem Sklavenmarkt mußte er ihn züchtigen. Nun war sein Wille gebrochen. Thrasco richtete sich ächzend auf. Wenn er ihn ein paar Wochen mästete, würde sich seine Investition tausendmal lohnen. Er teilte seine Gedanken dem Sklaven Cleve mit: »Der Bursche ist ein hübsches Geschenk für die Schwester von Khagan-Rus. Die alte Evta liebt Knaben, und wenn er gebadet und gefüttert ist, wird er ihr gefallen, und sie wird ihren Spaß an ihm haben. Und falls er widerspenstig ist, peitscht sie ihn mit dem größten Vergnügen aus.«
»Ja, Herr«, antwortete Thrascos Sklave, während er auf die Peitsche blickte. Mehr sagte er nicht, da er nicht den Wunsch hatte, die Lederriemen auf seinem eigenen Rücken zu spüren, denn Thrasco war unberechenbar.
»Ich weiß, was du denkst«, fuhr Thrasco fort, immer noch seinen Neuerwerb musternd. »Du denkst, der Bursche ist ein Häufchen Elend. Auch wenn er gewaschen ist, wird sich daran nicht viel ändern. Aber ich bin ein erfahrener Mann und sehe, daß er feingeschnittene Gesichtszüge hat. Er ist zierlich gebaut. Sieh dir seine Hände und Füße an, sie sind lang und schmal. In seinen Adern fließt gutes Blut. Seine Eltern waren keine Sklaven. Nein, das Bürschchen hat etwas Besonderes, und das werde ich zu meinem Vorteil nutzen. Kümmere dich um ihn, wasch ihm den Rücken und trage etwas von der Salbe auf, die meine Mutter aus Bagdad geschickt hat. Die verdreckten Lumpen soll er vorerst anbehalten zur Strafe für seinen Ungehorsam.
Weitere Kostenlose Bücher