Der Herr von Moor House
beschauliche Landleben. Deshalb wunderte ich mich, als sie plötzlich verkündete, sie würde Moor House einen kurzen Besuch abstatten. Damals verbrachten Sie ein paar Tage bei Ihrer Schwester, Sir, bevor Sie Ihren kleinen Bruder zu Beginn der Sommerferien von der Schule abholten. Das muss Mrs Blackmore gewusst haben. Sie kam nach Moor House und blieb fast eine Woche. Danach fuhren wir nach Brighton, wo wir uns bis zum Herbst aufhielten.”
Zufrieden mit ihrer Antwort, nickte Christian. “Im Gegensatz zu Ihrer einstigen Herrin leben Sie sehr gern auf dem Land, nicht wahr, Emily?”
“Oh ja, Sir, meine Familie stammt aus einer ländlichen Gegend. Und ich nahm meine erste Stellung auf einem Landgut in Surrey an, nicht weit von meinem Heimatdorf entfernt.”
“Wären Sie bereit, nach Moor House zurückzukehren und wieder für mich zu arbeiten?”
In ihren Augen glänzten Tränen. “Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir. Aber Sie brauchen keine Zofe, sondern einen Kammerdiener.”
“Oh, jetzt haben Sie mich an etwas Wichtiges erinnert, das ich noch erledigen muss.” Christian stand auf, und sie erhob sich ebenfalls. “Denken Sie über mein Angebot nach. Wenn mich nicht alles täuscht, werden in meinem Haushalt einige einschneidende Veränderungen eintreten. Mrs Goss sehnt ihren Ruhestand herbei, und ich glaube zu wissen, wen sie zu ihrer Nachfolgerin erkoren hat. Deshalb wäre in absehbarer Zeit ein Posten für Sie frei, Emily, falls Sie interessiert sind.”
“Meinen Sie das ernst, Sir?”, fragte sie hoffnungsvoll.
“Selbstverständlich”, bestätigte er lächelnd. “Bald will ich wieder heiraten, Emily, und meine künftige Frau wird eine Zofe brauchen. Überlegen Sie es sich, und wenn Sie mein Angebot annehmen möchten, schreiben Sie mir.”
Schüchtern legte sie eine Hand auf den Ärmel seines untadelig geschnittenen Jacketts. “Kein Gentleman würde eine zweite Chance mehr verdienen als Sie, Sir. Und ich glaube, diesmal haben Sie eine bessere Wahl getroffen.”
“Allerdings”, stimmte er leise zu.
10. KAPITEL
Megan steckte die letzte Blume in das Arrangement und trat einen Schritt zurück, um das Ergebnis ihrer Bemühungen zu begutachten. Ihrer Ansicht nach waren getrocknete Blumen kein Ersatz für frische, aber sie waren besser als gar nichts. Über ein halbes Jahrzehnt hatte Moor House keine Herrin gehabt, auch keinen Herrn, und der Obergärtner war nicht beauftragt worden, in allen Monaten für Blumenschmuck zu sorgen. Immerhin hatte er sein Bestes getan und ihr mehrere Grünpflanzen gebracht. Und wenn Christian mitten im Januar eine Dinnerparty gab, durfte er keine besonderen Dekorationen erwarten.
“Ja, ich glaube, so ist es in Ordnung, James”, wandte sie sich an den jungen Lakaien, der geduldig an ihrer Seite ausharrte.
“Brauchen Sie noch etwas, Miss Drew?”, fragte er, nachdem er das Arrangement in die Mitte der langen Tafel gestellt hatte, die bereits mit glänzendem Besteck und funkelndem Kristall für zweiundzwanzig Gäste gedeckt war.
“Nein, danke, James. Jetzt müssen nur noch die Karaffen im Salon und in der Bibliothek gefüllt werden, aber das eilt nicht. Darum kümmern wir uns irgendwann, bevor die Gäste eintreffen.”
Als er den Speiseraum verließ, begutachtete sie die Tafel noch einmal. Um eine erfolgreiche Dinnerparty vorzubereiten, hatten die Dienstboten hart gearbeitet. Wilks putzte das kostbarste Silber, die Köchin erörterte verschiedene Menüs mit Megan. Und Mrs Goss hatte alle Gästezimmer herrichten lassen, falls jemand in Moor House übernachten wollte.
“Ah, da bist du ja!” Sophie stürmte in jugendlichem Überschwang herein und beobachtete, wie ihre Tante eine Gabel zurechtrückte. “Tut mir leid, dass ich so spät komme. Giles und ich mussten bei den Fortescues bleiben, bis es zu regnen aufhörte, und währenddessen erzählte er mir von seinen Zukunftsplänen. Nach seinem Studium will er zur Navy gehen. Wenn er nach Oxford zurückkehrt, werde ich ihn vermissen”, fügte sie seufzend hinzu. “Wahrscheinlich schon nächste Woche …”
“Das überrascht mich nicht. Inzwischen ist sein gebrochenes Bein gut verheilt, und ich sehe ihn nur selten hinken.” Megan legte einen Arm um Sophies schlanke Taille und führte sie in die Halle. “Geh jetzt nach oben, und zieh dich um. Allzu viel Zeit hast du nicht mehr, und Rose muss noch dein Haar waschen.”
Lächelnd schaute sie ihrer Nichte nach, die gehorsam die Treppe hinaufstieg. Von jenem
Weitere Kostenlose Bücher