Der Herzausreißer
Wasserkübel, für jeden nur erdenklichen Zweck. In einer Ecke eine Truhe für die wenigen Habseligkeiten des Mädchens.
Diese mönchische Schlichtheit kitzelte aus Jacquemort den geilen, auf Mädchenfrischfleisch versessenen Atheisten heraus, der er, wenn er sich’s nur recht überlegte, durchaus hätte sein können.
Er setzte sich neben sie auf die quietschende eiserne Bettstatt ... einen anderen Platz gab es nicht.
»Was hast du seit dem letzten Mal Schönes gemacht?«, fragte er.
»Gar nichts«, sagte sie.
Sie las ihre Seite zu Ende, faltete dann die Zeitung zusammen und steckte sie unter das Kopfkissen.
»Zieh dich aus und leg dich aufs Bett«, sagte Jacquemort.
»Oh je! Lieber nicht«, sagte das Mädchen, »wenn dann der Meister heimkommt, muß ich mich wieder anziehen und die Suppe kochen.«
»Aber doch nicht um diese Zeit«, sagte Jacquemort. »Und außerdem ist der Meister gar nicht da, er ist bei der Schneiderin.«
»Dann kommt er sicher hinterher gleich nach Hause«, sagte sie.
Sie überlegte einen Augenblick und fügte hinzu:
»Aber wir werden trotzdem unsere Ruhe haben.«
»Warum?«, wollte Jacquemort wissen.
»Das ist immer so, wenn er von dort heimkommt«, sagte das Mädchen. »Aber weshalb wollen Sie eigentlich, dass ich mich ausziehe?«
»Das ist die unerlässliche Ausgangsbedingung für jede gute Psychoanalyse ...«, sagte Jacquemort im Oberlehrerton.
Sie errötete. Ihre Hand legte sich auf ihren kleinen spitzen Halsausschnitt.
»Oh ...!«, sagte sie und senkte den Blick. »Nicht einmal mein Meister hat sich jemals getraut, sowas mit mir zu machen.«
Jacquemort kräuselte eine Augenbraue. Was hatte sie schon davon kapiert? Aber wie sollte man sie überhaupt danach fragen?
»Aäh ...«, murmelte sie, »ich weiß nicht, ob ich dafür sauber genug bin ... vielleicht haben Sie das nicht so gern ...«
Jacquemort ahnte was ... Eine Geheimsprache.
»Die Psychoanalyse ...«, begann er.
»Warten Sie«, flüsterte sie. »Noch nicht.«
Die Kammer war durch eine Luke in der Dachschräge erhellt. Sie erhob sich und hatte wenige Sekunden darauf aus der Truhe einen alten Vorhang geholt, den sie vor dem kleinen viereckigen Fenster befestigte. Das Tageslicht drang schwach durch den bläulichen Stoff und verlieh der Dachkammer das Aussehen einer unterirdischen Grotte.
»Das Bett wird aber quietschen«, sagte Jacquemort und entschloss sich, seine Psychoanalyse auf ein wenig später zu verschieben. »Wir sollten deinen Strohsack vielleicht lieber auf den Boden legen.«
»Ja ...«, sagte sie erregt.
Er roch, wie ihr Schweißgeruch die Kammer erfüllte. Sie musste schon klitschnass sein. Das würde der Sache durchaus förderlich sein.
16
27.Junili (noch später)
Schwere Tritte auf der Holztreppe ließen sie aus ihrer erschöpften Umarmung hochfahren. Jacquemort rappelte sich schleunigst auf und löste sich von dem halb auf dem Strohsack, halb auf dem Fußboden liegenden Mädchen.
»Das ist er ...«, flüsterte er.
»Hier kommt er nicht rein«, murmelte sie nur. »Er geht in sein Zimmer.«
Sie ruckelte ein wenig mit dem Becken.
»Hör auf damit!« protestierte Jacquemort. »Ich kann nicht mehr.«
Sie gehorchte.
»Werden Sie wiederkommen und mich psycho... dingsbumsen«, sagte sie mit wohlig rauer Stimme. »Ich mag das. Das tut so gut.«
»Ja, ja«, sagte Jacquemort noch ganz und gar erregt von allem.
Zehn Minuten mussten doch immerhin vergehen, bis sich die Lust wieder einstellte. Frauen haben da leider nicht das nötige Feingefühl.
Die Tritte des Meisters erschütterten jetzt den Hausflur aus nächster Nähe. Seine Zimmertür öffnete sich kreischend und fiel ins Schloss. Jacquemort kniete am Boden und spitzte die Ohren. Auf allen Vieren näherte er sich geräuschlos der Wand. Plötzlich traf ein dünner Lichtstrahl sein Auge. Irgendwo in der Trennwand musste ein Astloch sein. Mit der Hand sich nach der Lichtquelle vortastend, fand er auch sogleich das Loch im Brett und heftete sein Auge daran, nicht ohne ein leichtes Zögern; er zog den Kopf auch sofort wieder zurück. Er hatte den Eindruck, ebenso gut gesehen zu werden, wie er selbst sehen konnte. Durch Anwendung seiner Vernunft jedoch erlangte er seine Sicherheit wieder und legte sich erneut auf seinen Beobachtungsposten.
Das Bett des Schmiedes befand sich direkt unterhalb desselben. Eigenartigerweise ein äußerst niedriges Bett und ganz ohne jedes Bettzeug. Nichts als eine Matratze mit straff darüber gespanntem Leintuch,
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