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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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er.
    »Aber nein«, sagte Angel. »Sorgen Sie sich nicht.«
    Er schritt behend über den elastischen Steg, der auf das Boot führte. Jacquemort rührte sich nicht.
    »Wozu brauchen Sie Blumentöpfe?«, fragte er, als Angel wieder erschien.
    »Hab ich vielleicht nicht das Recht, Blumen mitzunehmen?«, fragte der andere aggressiv zurück.
    »Aber ja, gewiss doch«, sagte Jacquemort. Dann fügte er noch hinzu: »Womit wollen Sie sie eigentlich begießen?«
    »Mit Wasser«, sagte Angel. »Wie Sie vielleicht wissen, regnet es auch auf dem Meer.«
    »Da haben Sie recht«, bestätigte der andere.
    »Und ziehen Sie nicht so eine Fleppe«, sagte Angel. »Sie machen mich ja ganz krank. Sieht ja fast so aus, als würden Sie einen Freund verlieren!«
    »Das trifft zu«, sagte Jacquemort. »Ich mag Sie gut leiden.«
    »Nun, ich Sie auch«, sagte Angel. »Aber wie Sie sehen, gehe ich trotzdem. Man bleibt nicht etwa, weil man bestimmte Menschen liebt; man geht, weil man andere verachtet. Einzig und allein das Schlimme treibt einen zum Handeln. Von Haus aus sind wir alle feige.«
    »Ich weiß nicht, ob es Feigheit ist«, sagte Jacquemort, »aber es schmerzt mich.«
    »Damit es nicht zu sehr nach Feigheit aussieht, habe ich zusätzlich ein paar Schwierigkeitsgrade eingebaut: kein Proviant, ein kleines Leck im Kiel und äußerst wenig Wasser. Ob das reicht? Was glauben Sie?«
    »Sie Trottel«, brummte Jacquemort wütend.
    »Auf diese Weise«, fuhr Angel fort, »bleibt es, moralisch gesehen, Feigheit, physisch jedoch ein Wagnis.«
    »Das ist gar kein Wagnis, das ist einfach idiotisch«, sagte Jacquemort. »Das dürfen Sie nicht verwechseln. Und außerdem, was ist — in moralischer Hinsicht — schon Feiges dran? Man ist nicht feig, weil man jemand nicht liebt, oder weil man ihn nicht mehr liebt. Das ist nun einmal so, oder?«
    »Wir reden wieder aneinander vorbei«, sagte Angel. »Immer, wenn wir miteinander zu reden anfangen, entzweien wir uns in unseren Grundauffassungen. Das ist ein weiterer Grund für mich, wegzufahren; auf diese Weise pflanze ich Ihnen wenigstens keine schlimmen Ideen mehr ein.«
    »Wenn Sie glauben, dass mir die anderen bessere einpflanzen ...«, brummte Jacquemort.
    »Ach ja, stimmt, verzeihen Sie. Beinahe hätte ich Ihre famose Innere Leere vergessen.«
    Angel lachte und sprang wieder in den Bauch des Bootes. Fast gleichzeitig tauchte er daraus wieder hervor, während sich ein leichtes Grollen vernehmen ließ.
    »Alles geht in Ordnung«, sagte er. »Ich kann losfahren. Übrigens ist es mir lieber, dass sie sie allein aufzieht. Ich wäre sicherlich mit ihr nicht einer Meinung, und ich hasse Diskussionen.«
    Jacquemort schaute ins klare Wasser, das die Kieselsteine und Algenbänke größer erscheinen ließ. Das schöne Meer bewegte sich kaum, ein leichtes Plätschern allenfalls, weich wie feuchte Lippen, die aufeinandertreffen. Er senkte den Kopf.
    »Ach was«, sagte er, »machen Sie keine schlechten Witze!«
    »Wirklich gute hab ich nie machen können«, sagte Angel. »Hier bin ich wenigstens zu etwas gezwungen. Ein Zurück wird es nicht geben.«
    Flink ging er über den Bootssteg an Land und holte aus seiner Hosentasche eine Schachtel Streichhölzer. Er bückte sich, rieb eines an und entflammte das Ende einer mit Talg eingeschmierten Zündschnur, die ein Stück über die Stapellaufschienen hinausreichte.
    »Auf diese Weise«, sagte er, »müssen Sie nicht mehr daran denken.«
    Die bläuliche Flamme kroch voran, von den beiden sorgsam überwacht. Dann wurde sie gelb, blähte sich, fing an zu laufen, und das Holz begann sich knisternd zu schwärzen. Angel ging wieder an Bord und warf den Bootssteg an den Strand zurück.
    »Nehmen Sie den nicht mit?«, fragte Jacquemort und wandte den Blick von der Flamme ab.
    »Brauch ich nicht«, sagte Angel. »Ich muß Ihnen noch etwas gestehen: ich kann Kinder nicht ausstehen. Leben Sie wohl, mein Lieber.«
    »Auf Wiedersehen, Sie altes Arschloch«, sagte Jacquemort.
    Angel lächelte, aber seine Augen glitzerten tränenfeucht. Hinter Jacquemort loderte und zischte das Feuer. Angel ging unter Deck. Man hörte ein gewaltiges Gebrodel, und die mechanischen Füße begannen im Wasser zu stampfen. Er kam wieder herauf und ergriff die Ruderpinne. Schon hatte das Boot einige Fahrt erlangt und legte nun schnell vom Ufer ab, den Bug bei zunehmender Beschleunigung höher und höher aus dem Wasser hebend. Als es seine volle Kraft ausgefahren hatte, schien es, als ob es inmitten einer

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