Der Herzausreißer
wäre unrecht zu sagen: ›mit geschlossenen Augen‹«, schmiedete der Hufer. »Man hat die Augen noch lange nicht geschlossen, nur weil man die Lider darüber zuklappt. Darunter sind sie immer noch offen. Wenn Sie einen Felsblock vor eine offene Tür rollen, ist sie deshalb noch nicht geschlossen; und genauso wenig das Fenster, denn um in die Feme zu schauen, benutzt man alles andere als die Augen; aber Sie verstehen das ja alles sowieso nicht.«
»Nun gut!«, sagte Jacquemort gekränkt, »wenn Sie glauben, dass ich aus Ihrem Gefasel schlau werde, sind Sie wirklich schief gewickelt und obendrein gemein.«
»An mir ist nichts Gemeines«, sagte der Schmied. »Und mit Ihnen habe ich schon gar nichts gemein. Lassen Sie die alte Fose endlich arbeiten und scheren Sie sich zum Teufel.«
»Schon gut«, sagte Jacquemort, »schon recht. Ich geh ja schon.«
»Glänzende Idee«, lobte der Schmied.
»Auf Wiedersehen, Monsieur Jacquemort«, sagte die Schneiderin.
Sie biss den Faden mit den Zähnen ab wie eine Parze, die ihre Schere gerade beim Scherenschleifer hat. Ärgerlich, aber dennoch mit Würde ging Jacquemort ab. Er verschoss noch einen letzten Pfeil.
»Ich gehe jetzt Ihr Dienstmädchen vögeln.«
»Meinen Segen haben Sie«, sagte der Schmied. »Die hab ich schon längst vor Ihnen gevögelt, und das ist auch nicht weiter aufregend, kann ich Ihnen sagen, die kriegt ihren langweiligen Arsch nicht in Schwung.«
»Aber ich krieg ihn doppelt in Schwung«, versicherte Jacquemort, »und hinterher wird sie psychoanalysiert.«
Stolz erhobenen Hauptes fand er sich wieder auf der Straße. Drei Schweine gingen vorüber, den Marschtakt durch Grunzen vorgebend. Er verabreichte dem dritten, das ihm liederlich vorkam, einen kräftigen Tritt in den Hintern und setzte seinen Weg fort, Jacquemort.
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27. Junili (später)
Das Dienstmädchen des Hufschmiedes, Nëzrouge genannt, schlief zusammen mit dem jeweiligen Lehrling auf dem Hängeboden oberhalb der Schmiede. Der Lehrling ging ziemlich häufig ein, das schwer schuftende Dienstmädchen jedoch hielt sich gut, besonders seit der Schmied davon Abstand genommen hatte, wie ein über die Ufer tretender Fluss ihr Bett zu überfluten. Der Lehrling kam nicht in Frage. Erschöpft wie er war, konnte man nichts mit ihm anfangen. Ein armseliger Schlappschwanz, ganz und gar beischlafunfähig. Er schlief einfach ein. In diesem Augenblick schlief er zufällig einmal nicht. Das nicht. Er stand an der Esse und hielt das Feuer in Gang. Jacquemort sah ihn beim Hereinkommen und drang in die Werkstatt vor, die von Ruß starrte, allen Säuberungsversuchen von Nëzrouge zum Trotz.
»Tag, Lehrling«, sagte Jacquemort.
Der Lehrling murmelte »guten Tag« und hielt sich dabei vorsichtshalber gleich den Ellbogen vors Maul, da nämlich unter den Besuchern der lustige Brauch herrschte, ihm im Vorbeigehen eins draufzuhauen: Da dieser Lehrling ja auf Eisen einschlug, war es nur recht und billig, dass er dafür seinerseits auch etwas abkriegte.
»Dein Meister ist nicht da«, stellte Jacquemort fest.
»Nicht da«, bestätigte der Junge nach Überprüfung des Sachverhalts.
»Nun, dann geh ich eben wieder!«, sagte Jacquemort.
Er ging aus der Werkstatt, bog nach links ums Haus, betrat den Hof, stieg die Holztreppe am Hause hoch und befand sich in einem öden, mit rohen Dielen bedeckten Flur. Rechts unter der Dachschräge lag die Kammer von Nëzrouge. Gleich daneben gab es eine hohe Tür, dahinter wohnte der Meister. Links war an einem Mauervorsprung erkennbar, dass des Meisters Räumlichkeiten drei Viertel des Stockwerkes einnahmen und mit der rechten Trennwand an Nëzrouges Kammer angrenzten, eine simple aber praktische Anordnung.
Jacquemort trat ein, ohne anzuklopfen. Das Mädchen saß auf dem Bett und las eine Zeitung von vor sieben Jahren. Die Neuigkeiten brauchten eben ihre Zeit, bis sie ins Dorf gelangten.
»Aha«, sagte der Psychiater, »man tut etwas für die Bildung?«
Die kindlich naive Masche passte zu ihm wie Gamaschen auf eine Jauchepumpe.
»Lesen wird man doch wohl noch dürfen«, sagte Nëzrouge patzig.
»Was sind diese Bauern doch schwierig zu handhaben«, dachte Jacquemort.
Nëzrouges Kammer wies wenig Komfort auf. Ein abgescheuerter Fußboden, nackte weißgekalkte Wände und Dachbalken mit querverlaufenden Dachsparren, auf denen, von den Verschalungsbrettern getragen, kleine Schiefertafeln ruhten. Alles war tüchtig verstaubt. Möblierung: Bett und Tisch, auf diesem ein
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