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Der Herzberuehrer

Der Herzberuehrer

Titel: Der Herzberuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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ihren Schädel rasiert, was zunächst erst einmal befremdlich klingen mag. Doch das wurde auf der Fotografie durch große, warm dreinblickende Augen, eine höchst aristokratische Nase und jenen kecken Zug um die Mundwinkel ergänzt, den ich in unbeobachteten Momenten früher selbst versucht hatte, vorm Spiegel hinzubekommen. Es mag abgedroschen klingen, aber beim Blick in diese Augen überkam mich urplötzlich ein Gefühl von Seelenverwandtschaft. Sie hatte etwas aus einer anderen Zeit an sich. Ihr Gesicht erinnerte mich an Gemälde, die ich vor Jahren während üblicher Schulexkursionen in der Nationalgalerie in Urbinos Palazzo Ducale betrachtet hatte. Es faszinierte mich.
    Ein weiterer Pluspunkt, der mich für sie einnahm, war der, dass sie vor allem im Bereich der Feld- und Teich-Küche zuhause war. Ich war gezielt auf Meer und Wald ausgebildet worden. Saibling, Forelle, Kaninchen und Wachtel gingen ihr so leicht von der Hand, wie mir Brasse und Hirsch.
    »Wie kommt es, dass du deine Lehre nicht beendet hast? Ich meine, du bist gut im Geschäft und was ich sonst so von dir lesen konnte...«
    Also begann ich ihr meine Geschichte zu erzählen.
    Ich schilderte ihr, wie ich einst, nach einer wirklich üblen Auseinandersetzung mit meinem Vater in einer stürmischen Herbstnacht mein Zuhause und damit auch meine Küche verlassen hatte. Meine Eltern waren zu dieser Zeit nicht bereit gewesen, mich so zu akzeptieren, wie ich nun mal bin. Das hatten sie mir überdeutlich zu verstehen gegeben - und daran hat sich bis heute nichts geändert.
    Ich beschrieb Chip meine ersten selbstständigen Gehversuche, erzählte vom 'Gusto', meinem aus dem Boden gestampften Catering-Service, durch den ich mir in Genova schon bald einen guten Ruf erkocht hatte. Ich beschrieb ihr jene Zeit, in der ich als jüngster Fernsehkoch Europas mit 'Lucas Rezepte' kulinarische Geschichte geschrieben hatte und ich schloss damit, wie ich hier, auf 'meinem' Berg gelandet war, um mir einen Lebenstraum zu verwirklichen.
    »Du bist ziemlich erfolgsverwöhnt«, stellte sie nüchtern fest.
    »Ich bin auch ziemlich gut«, erwiderte ich selbstbewusst.
    Ihre Augenbrauen wanderten überrascht in die Höhe. »Wozu dann die Ausbildung zu Ende führen? Du hast in wenigen Jahren mehr erreicht als andere in ihrem ganzen Leben. Und was kann ich dir da noch beibringen? Kochen kannst du ja wohl?«
    »Ja! Aber ich kann keine Restaurantküche leiten. Soweit ist es nie gekommen. Ich will das Lernen und ich weiß, dass du das kannst. Ich darf nach dem Gesetz nicht ausbilden. Vielleicht ist es aber genau das, was ich will.«
    Ich schenkte Tee nach, den ich auf ihren Wunsch hin aufgebrüht hatte. »Es geht um zwei Jahre. Wenn es nach mir geht, gerne auch um mehr. Und...« Ich schenkte mein schönstes Lächeln, »...man sagt mir nach, die Zusammenarbeit mit mir würde wirklich Spaß machen. Ehrlich...«
    Ich weiß bis heute nicht, ob das nun der ausschlaggebende Satz war, der ihre Zweifel beseitigt hatte, aber nach einem kurzen Zögern stimmte sie zu - schlug ein und schenkte mir einen Augenaufschlag, der mich zuversichtlich stimmte.
    Die wichtigste Etappe war damit erreicht. Ich hatte nun einen Maître und damit einen Meister. Der Rest, der würde sich schon von selbst ergeben...
    ·
    Wie das Meer, an dem ich aufgewachsen bin, seinen eigenen Gesetzen folgt, so tut dieses auch der Wald.
    Das dichte Blätterdach unter- und oberhalb des Klosters bildete ein einzigartiges Biotop, welches klimatisch einem ständigen Wandel unterworfen war. Einem duftenden noch dazu.
    Ich liebte es, ganz früh am Morgen, wenn noch alles schlief, barfuß über die angrenzende Wiese hin zum Waldrand zu laufen, mich auf den breiten kantigen Rand der alten Mauer zu setzen, meine, vom Morgentau feuchten Füße aneinander zu reiben, die Würze des Waldes einzuatmen und leicht fröstelnd meinen ersten Caffè zu trinken. Je nach Wetterlage standen dann häufig noch zarte Nebelschwaden oder tiefliegende Wolken zwischen den Wipfeln, die sich erst im Laufe des Vormittags ganz allmählich durch die steigenden Temperaturen wie flüchtiger Wasserdampf aufzulösen begannen.
    Vor der Eröffnung des 'Luro' war es mir noch möglich gewesen, mein Ritual nackt durchzuführen. Damit war es nun natürlich vorbei.
    Aber vor allen anderen den erwachenden Tag zu begrüßen, das hatte schon was. Nach wie vor...
    Seit etwas über sieben Monaten lief der Betrieb im 'Luro' mittlerweile. Darüber musste ich an jenem Morgen

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