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Der Herzberuehrer

Der Herzberuehrer

Titel: Der Herzberuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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Orlando hatten sich einst dort, an ihrem Arbeitsplatz, kennen und schließlich lieben gelernt. Sie hatten ihre Hochzeit dort gefeiert, erst die weiße, zuletzt die silberne und auch nach der Beerdigung ihres einzigen Sohnes trauerten sie dort, am Rande von Casella, in 'ihrem' Restaurant gemeinsam mit ihren Freunden um den Verlust.
    Eine Geschichte, die für die Entscheidung des neuen Besitzers keine Rolle spielte. Es gab einfach keinen Platz mehr für Sandra und Orlando.
    Dann Steffano und Pia: Sie bildeten genau das Gegenteil zu den beiden.
    Zunächst einmal waren sie kein Paar. Und schnell wurde klar, dass sie auch nie eines werden würden. Aber: Sie waren jung. Auch Steffano und Pia stammten aus der Umgebung, aus Busalla. Viel entscheidender war jedoch, dass sie beide zuvor in der dortigen Markthalle gearbeitet hatten. Ein perspektivloser, harter, wenig lukrativer Job, der Zähigkeit und eine gewisse Bereitschaft erforderte, Dinge zu tun, für die Andere sich zu schade waren.
    Chips Entscheidung für Pia und Steffano hatte zwei entscheidende Vorteile. Zum einen erwiesen sie sich als unendlich dankbar, eine Chance wie diese im Lauro’s bekommen zu haben. Zum anderen kannten sie die Stände der Markthalle ganz genau. Chip wäre nie auf die Idee gekommen, ohne Pia oder Steffano ihre Einkäufe zu erledigen, und die Händler in Busalla wussten um die Bedeutung dieses Schachzugs. Die Ware, die wir verarbeiteten, war zumindest immer von allererster Güte - sicher auch Dank der beiden.
    Na, und dann Chip selbst: Was mir gut gefiel, war der spürbare Schweizer Einschlag. Zwar kochte man im Tessin eine Spur einfacher als hierzulande, doch Chip war während ihrer Ausbildung einmal quer durch die vielfalt der Schweizer Kantone gereicht worden. Ein Erfahrungsschatz, der sich auf den Tellern widerspiegelte. Das hatte was.
    Und so wurde das Bouquet Garni ebenso bei uns eingeführt wie die Verwendung von Noilly Prat, dunkel gebackenem Brot oder kräftige Käsesorten wie
Gruyère
und Vacherin.
    Eine Herangehensweise, die mir mehr und mehr gefiel.
    Als ich dann schließlich, nach den geplanten sechs Wochen, dazustieß, löste mein Erscheinen zunächst einmal absolute Verwunderung aus, denn sowohl Pia und Steffano als auch Sandra und Orlando wussten nicht, dass ich mit von der Partie war. Aber sie kannten mich. 'Lucas Rezepte' hatte seinerzeit eine Einschaltquote von durchschnittlich 9 Prozent, quer durch alle Altersgruppen. Dazu die Plakatierung, die Kochbücher und das Merchandising - klar kannten sie mich.
    Was sie jedoch noch mehr verblüffte, war die Tatsache, dass ich meinen Platz als Lehrling einnahm. Das war für sie verkehrte Welt.
    Also versuchte ich es ihnen zu erklären.
    Und als Steffano nach zweieinhalb Stunden endlich fragte, wie das denn nun eigentlich sei, mit meinem linken Auge, da wusste, ich dass das Eis gebrochen war.
    »Es ist aus Glas«, gab ich bereitwillig zu.
    Die Zeit, in der ich ein Geheimnis um die Vielfarbigkeit meiner Augen machen musste, war damit endgültig vorbei.
    »Coool...«, entwich es ihm und fünf Augenpaare musterten fasziniert mein Gesicht.
    Es würde mir Spaß machen, mit ihnen zu arbeiten. Das war mehr als Hoffnung von meiner Seite, ich war mir fast schon sicher.
    Und genau daran, an diese Szene, erinnerte ich mich an jenem nasskalten Morgen auf der alten Mauer, mit meinem Caffè in der Hand und den nassen, mittlerweile völlig ausgekühlten Haaren, die mir vom Duschen im Nacken klebten. Ich saß da, in der Gewissheit, dass mein Leben, welches seit sieben Monaten in aller Ruhe seinen stetigen Gang nahm, auf ewig so weiter laufen würde. Immer weiter, in aller Ruhe...
    Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieser Tag, der so beschaulich seinen Anfang genommen hatte, dass exakt dieser Tag mein ganzes Leben in andere Bahnen lenken sollte. Kaum merklich, zu Beginn, aber dann, ja, dann...
    ·
    Der Regen kam...
    Er kam mit aller Wucht, und er dachte nicht daran, seinen Fluss auch nur einen Moment zu unterbrechen. Okay - Regen kann nicht denken - das stimmt, aber ich habe es mir zu eigen gemacht, Schlechtwetterperioden persönlich zu nehmen und aus einem solchen Blickwinkel heraus konnte er es eben doch.
    Wir hatten sieben Reservierungen für den Abend, dazu acht Logis-Gäste, das machte elf Tische, also eine Menge zu tun für uns.
    Steffano und Pia hatten sich sehr gut eingearbeitet. Chip erwies sich nicht nur für mich als umsichtige Lehrmeisterin. Mit einer Engelsgeduld leitete sie

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