Der Hexenmeister
seinen Klienten genauer studieren könne. Dieser Verdacht erhärtete sich sofort, als sich hinter Wares riesigem Schreibtisch geräuschlos eine Schwingtür öffnete, durch die ein blondes Mädchen mit Pagenhaarschnitt und sehr kurzem Rock eintrat. Auf einer kleinen Silberuntertasse trug sie einen Brief.
»Vielen Dank, Greta. — Entschuldigen Sie«, sagte Ware und nahm die Tasse. »Wäre das hier nicht wichtig, hätte man uns sicher nicht unterbrochen.« Man hörte das Knistern von teurem Papier, als der Magier den Brief öffnete.
Baines sah dem Mädchen nach, als es den Raum verließ. Sie erinnerte ihn vage an jemanden, fesselte aber seine Aufmerksamkeit nur kurz. Dann machte er sich ganz unverhohlen daran, Ware unter die Lupe zu nehmen. Wie immer begann er mit dessen Umgebung.
Das Büro des Magiers, das nun im hellen Schein der Nachmittagssonne lag, hätte ohne weiteres das von Bücherwänden umschlossene Arbeitszimmer irgendeines Arztes oder Rechtsanwalts sein können — nur waren sowohl der Raum selbst als auch die Möbel überdimensioniert. Das sagte natürlich über Ware selbst nicht sehr viel aus, denn das Haus war bloß ein gemieteter Palazzo, der am Steilabhang errichtet war. Man hätte in Positano sicher noch größere finden können, wäre Ware an noch höheren Decken und noch schlechterer Akustik ernsthaft interessiert gewesen. Obwohl die meisten der Bücher alt aussahen, war doch das Büro kaum dumpfer als, sagen wir mal: die Bibliothek eines kleinen Colleges in den USA, und sie enthielt auch wesentlich weniger überalterte Instrumente. Das einzige, was in diesem Büro- und Arbeitsraum leise an Magie erinnerte, war der schwache Geruch verschiedenartigen Räucherwerks. Diesen allerdings konnte auch die Mittelmeerluft, die durch die großen offenen Fenster hereinströmte, nicht ganz verdrängen. Andererseits aber war dieser Duft so schwach, daß Baines es bald aufgab, ihn in seine Komponenten zu zerlegen. Überdies hatte er nur geringen diagnostischen Wert: kleine italienische Kirchen z.B. rochen ebenso — und übrigens auch die Salons ägyptischer Polizeichefs.
Ware selbst war freilich beachtenswert, aber — mit nur einer einzigen Ausnahme — nur in dem Sinn, in dem alle Menschen im Auge des geborenen Führers einzigartig sind. Ein kleiner, magerer Mann in einem Anzug aus irischem Tweed, einem Hemd mit Stülpmanschetten, von Knöpfen zusammengehalten, die wie gewöhnlicher Stahl aussahen, einer schmalen, grauen Seidenkrawatte, auf der als Nadel eine aus Saphir geschnittene kleine Schachfigur prangte: ein Turm. Seine Magerkeit schien wie mit starken Kabeln zusammengehalten. Baines war sicher, daß Ware physisch außerordentlich kräftig war — trotz einer gewissen blassen Gesichtsfarbe —,und daß sich seine Gürtelweite seit Mittelschultagen nicht mehr verändert hatte.
Sein gegenwärtiges Äußeres war trügerisch, soweit es eine Schätzung von Wares Alter zuließ. Sein Gesicht war gefurcht, und seine buschigen, grauen Schläfen ließen nur noch ganz schwach erkennen, daß Ware einmal rothaarig gewesen war. Sein Haupthaar selbst gab keinen derartigen Hinweis, denn — und darin lag das einzige wesentlich Seltsame seines Äußeren — er war kahlgeschoren wie ein Mönch. Blaue Venen krochen über seinen kahlen, weißen Schädel und unter der papiernen Haut seiner Hände. Ein naiver Beobachter hätte ihn für gegen Ende sechzig gehalten. Baines aber wußte, daß Ware genauso alt war wie er selbst, nämlich achtundvierzig. Offenbar war Schwarze Magie — durchaus nicht überraschenderweise — ein sehr anstrengender Beruf. An den Wissenschaftlern, die für Consolidated Warfare Service (in der A. O. LeFebre et Cie. Branche) arbeiteten, hatte Baines die Beobachtung machen können, daß solche Typen normalerweise ab dreißig ständig wie fünfundvierzig aussahen — und zwar, bis ihr Haar weiß wurde, wenn sie nicht schon vorher einem Herzinfarkt erlagen.
Das Pergament knisterte; und Jack Ginsberg berührte unauffällig seinen Attache-Koffer. Damit setzte er ein Tonbandgerät in Rom wieder in Gang. Baines schien es, als hätte Ware die Bewegung bemerkt, zöge es aber vor, die Sache nicht zur Kenntnis zu nehmen. Der Magier sagte:
»Selbstverständlich geht alles auch viel schneller, wenn meine Klienten gleichermaßen offen zu mir sind.«
»Ich stelle mir vor, daß Sie inzwischen schon alles über mich wissen«, sagte Baines. Innerlich war er voll Bewunderung. Die Fähigkeit, eine unterbrochene
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