Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
deshalb ziemlich mürrisch. Er hatte unbedingt einen Bruder haben wollen, und außerdem schreit die Kleine den ganzen Tag, sodass die anderen Mädchen jedes Mal mitheulen.«
Clemens lachte laut. »Ja, der Peter hat ein schweres Schicksal. Fünf Jahre lang jedes Mal eine Schwester – das verträgt kein Mensch. Ich kann mir vorstellen, wie die Kleinen um die Wette schreien. Aber sorge dich nicht, dass uns das gleiche Schicksal blüht, mein Sohn. Deine Mutter und ich sind froh und dankbar, dass zehn Jahre nach deiner Geburt wieder ein Kind zu uns in die Familie kommt. Mehr werden es sicher nicht werden.«
Von den Worten des Vaters beruhigt, stopfte der Junge die Pflanzen in den Sack. Als genügend Brennnesseln geschnitten waren, schulterte Georg den Leinenbeutel und sein Vater die Sense. Auf dem Weg zurück ins Haus kam Johann ihnen über die Wiese entgegen und winkte ihnen von Weitem zu. Clemens sah sofort am Gesichtsausdruck seines Freundes, dass Johann mit ihm sprechen wollte. Darum sagte er zu seinem Sohn: »Geh schon vor und gib deiner Mutter das Kraut. Ich werde gleich nachkommen.«
»Gott zum Gruß!«, rief der Zehnjährige und lief an Johann vorbei.
Clemens ließ das Schneideblatt der Sense zu Boden gleiten und stützte sich auf dem Stielknauf auf. Abwartend blickte er seinem Freund entgegen. Als er vor ihm stand, fragte er leise: »Ist sie tot?«
Johann schüttelte den Kopf. »Aber es kann nicht mehr lange dauern. Maria und Magdalena sind bei ihr. Ich habe den Pastor gerufen, damit Regina die Letzte Ölung bekommt.«
»Dann ist es Zeit, dass wir uns von ihr verabschieden«, sagte Clemens, und Johann nickte.
Beide Männer schwiegen für einen Augenblick, als Johann in die Stille sagte: »Ich werde mit meiner Familie zurück aufs Eichsfeld gehen.«
»Das meinst du nicht ernst«, unterstellte Clemens dem Freund und blickte ihn ungläubig an.
Doch Johann nickte ein zweites Mal. »Ich spüre schon seit Langem diese Sehnsucht, die täglich größer zu werden scheint. Ich bin geblieben, weil ich mich für Regina Rehmringer verantwortlich fühle. Sie hatte nur uns, und wir waren ihre Ersatzfamilie. Doch wenn sie stirbt, hält mich hier niemand mehr. Ich fühle mich frei zu gehen.«
»Was ist mit mir?«, fragte Clemens leise. »Ist unsere Freundschaft es nicht wert, dass du in Westrich bleibst? Hier, wo die Heimat deiner Kinder ist?«
»Du warst mir immer ein treuer Gefährte und Freund«, antwortete Johann, atmete tief ein und erklärte: »Aber wenn ich eines Tages von dieser Welt Abschied nehmen muss, möchte ich nicht in fremder Erde beerdigt werden. Ich will heim nach Hundeshagen.« Johann flüsterte mehr, als dass er sprach, und Clemens musste sich leicht nach vorn beugen, um ihn verstehen zu können.
»Bist du krank?«, fragte er bestürzt.
»Nicht dass ich wüsste«, erklärte Johann und lächelte schief. »Ich hoffe, dass der Herrgott mir noch einige Jahre schenkt, bevor er mich zu sich ruft.«
Clemens klopfte ihm erleichtert auf den Rücken. »Ich bitte dich, deine Entscheidung zu überdenken«, bat er Johann.
Der schüttelte den Kopf. »Mein Entschluss steht fest, und deshalb wollte ich dich fragen, ob du mit deiner Familie mitkommen willst. Auch du bist auf dem Eichsfeld geboren. Hast du kein Verlangen danach zu wissen, ob deine Schwester und ihre Familie noch in Dingelstedt leben? Hast du nicht den Wunsch zu wissen, wie es ihnen geht?«
Clemens starrte in die Ferne. Ein Bussard schreckte in einer Baumkrone mehrere Krähen auf, die schimpfend davonflogen. Clemens sah ihnen nach, schluckte hart und blickte dann Johann an: »Ich kann deine Sehnsucht verstehen, denn auch ich spüre sie. Jeden Tag denke ich an meine Schwester Anna und frage mich, wie es ihr und ihrer Familie geht. Doch ich kann nicht mitkommen, Johann. Die Reise wäre für Christel zu anstrengend. Ihre Schwangerschaft wird täglich beschwerlicher, und ich möchte nichts riskieren.« Als er sah, wie bei der Erwähnung von Christels Schwangerschaft ein Schatten über Johanns Gesicht fiel, sprach er schnell weiter. »Außerdem herrscht Krieg. Weite Teile des Reichs sind verwüstet, die Menschen leiden Hunger. Überall gibt es Mord und Totschlag. Willst du deine Familie wirklich einer so gefährlichen Reise aussetzen? Wir können glücklich sein, dass das Land an der Saar vom Krieg verschont geblieben ist. Wir haben zu essen und ein Dach über dem Kopf. Hier in Wellingen sind unsere Familien in Sicherheit«, gab er zu
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