Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
Tür zum Flur. Die Kälte kommt rein«, rief Christel entnervt und rieb frierend die Hände aneinander. Schon seit Tagen fühlte sie sich nicht wohl. Dunkle Augenringe zeichneten sich in ihren Gesichtszügen ab. Wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft fiel ihr jede Bewegung schwer, und sie japste bei der kleinsten Anstrengung nach Luft. Franziska und Magdalena kümmerten sich nun allein um die Hausarbeit.
»Setz dich«, forderte Clemens seine Frau besorgt auf, als sie sich mit beiden Händen auf der Tischplatte abstützte.
»Es geht los!«, keuchte Christel und blickte zu Boden, wo sich eine Pfütze ausbreitete.
»Helft ihr ins Bett!«, rief Franziska den beiden Männern zu, die sich nicht regten, sondern Christel mit weit aufgerissenen Augen anblickten, da ihr Keuchen stärker wurde. »Soll dein Kind in der Küche auf die Welt kommen?«, fragte sie bissig und stupste Clemens an.
Daraufhin hakten er und Johann Christel unter und halfen ihr, die Treppe hochzusteigen. Auf jeder dritten Stufe mussten sie stehen bleiben, da Christel vor Anstrengung keuchte und vor Schmerzen aufschrie.
»Ich kann nicht mehr! Es tut so weh«, wimmerte sie schweißgebadet und schaute besorgt zu den beiden Jungen, die am Treppengeländer standen und zu ihr hinaufblickten. Während Benjamin leise weinte, blickte Georg seine Mutter mit schreckensweiten Augen an. Als Christel das sah, flüsterte sie zwischen zwei Wehen: »Hab keine Angst, mein Kind! Mir geht es gut. Dein Geschwisterchen will auf die Welt, und damit es den Weg findet, muss ich schreien.«
Christel erkannte, dass ihr Sohn nicht begriff, was sie sagte, und so versuchte sie bei der nächsten Wehe, die Zähne fest aufeinanderzupressen.
»Komm, Liebes«, ermunterte Clemens seine Frau, als sie nicht weiterging. »Nur noch wenige Stufen, dann haben wir es geschafft.«
»Nichts haben wir geschafft! Vor mir liegen noch die schlimmsten Stunden. Wie konnte ich es nur darauf anlegen, schwanger zu werden? Wie konnte ich diese Schmerzen vergessen?«, keuchte sie und blickte Clemens hilfeheischend an. Als eine neue Wehe ihren Körper durchzog, presste sie seine Hand so fest zusammen, dass er laut aufstöhnte. »So und noch viel schlimmer ist das, was ich gerade mitmache«, zischte sie und ließ sich ins Schlafzimmer führen.
Die Männer saßen in der Küche und warteten auf die erlösende Nachricht, doch das Kind schien sich Zeit zu lassen. Stunde um Stunde verging. Georg und Benjamin hatten versucht, wach zu bleiben, waren aber irgendwann auf ihrem Lager vor dem Ofen eingeschlafen. Als Christels Schreie während der Nacht nicht nachließen, beschloss Clemens, trotz des heftigen Schneetreibens in den Nachbarort zu marschieren, um die Hebamme zu holen.
»Du könntest dich verirren und erfrieren«, versuchte Johann den Freund abzuhalten.
»Ich kenne den Weg«, erwiderte Clemens erregt, als Christel erneut ihren Schmerz hinausbrüllte.
»Bis du mit der Hebamme zurück bist, ist dein Kind womöglich geboren, und du hast euch umsonst der Gefahr ausgesetzt. Sei vernünftig, Clemens! Franziska weiß, was zu tun ist.«
»Was würdest du an meiner Stelle machen?«, fragte der werdende Vater und strich sich nervös durchs dunkle, halblange Haar.
»Ich hätte wahrscheinlich die gleichen Gedanken wie du und wäre froh, wenn jemand mich von diesem aberwitzigen Plan abhalten würde«, sagte Johann ernst.
Clemens nickte.
Der Morgen graute, als das Weinen eines Neugeborenen zu hören war. Sofort stürmten die beiden Männer die Stufen hinauf. Heftig atmend stand Clemens vor der Tür und zögerte, die Klinke hinunterzudrücken. Da wurde sie von innen geöffnet, und eine blasse Magdalena stand vor ihm.
»Geht es Christel gut?«, fragte Clemens erschrocken.
Das Mädchen nickte. Wortlos ging sie einen Schritt zur Seite und ließ ihn eintreten. »Es ist ein Junge«, verriet sie ihrem Vater und lächelte erschöpft.
• •
Ende März konnte man erahnen, dass der Frühling Einzug halten würde. Schnee und Eis schmolzen, und Bäche und Teiche tauten auf. Endlich hörte man am Himmel das lang ersehnte Geschnatter der heimkehrenden Schneegänse. Der Winter war vorbei.
Viele Familien hatten Tote zu beklagen. Manche waren an unbehandelten Krankheiten gestorben, andere waren verhungert oder erfroren – wie die zwei ledigen Schwestern. Da ihre Kate am äußeren Rand von Wellingen stand und sie zudem zurückgezogen lebten, wurden ihre Leichen erst Ende März entdeckt.
Die Bewohner des
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