Der Hexer - NR07 - Das Haus unter dem Meer
dem weißen Mantel verwandelte sich von einer Sekunde auf die andere in einen tödlichen Krieger.
Und trotzdem kam seine Reaktion zu spät.
Er sah den Schatten neben sich und registrierte entsetzt, daß es einer seiner Brüder war, der hinter seiner Deckung aufsprang und mit gezücktem Schwert auf den schwarzen Umriß zusprang. Er schrie eine Warnung und federte hoch, aber er war zu langsam.
Seine ausgestreckte Hand griff ins Leere; der Bruder jagte mit weit ausgreifenden Schritten an ihm vorbei, schwang seine Klinge und stieß ein wütendes Heulen aus.
Dann verschwand er in der Gasse. Sein Schatten verschmolz mit dem großen, umrißlosen Ding, das Grodekerk gesehen hatte, und plötzlich wurde die Stille von klatschenden Schlägen unterbrochen, dann einem Schrei, und schließlich einem schauderhaften, knirschenden Laut.
Grodekerk schluckte einen Fluch herunter, schob seine letzten Bedenken beiseite und jagte dem Bruder nach, die warnenden Rufe der anderen hinter sich ignorierend. Mit zwei, drei Sätzen war er bei ihm, hob kampfbereit sein Schwert –
und erstarrte.
Der Bruder war tot. Er lag, grotesk verkrümmt und mit unnatürlich weit in den Nacken gebogenem Kopf, auf dem unratübersäten Boden, das Schwert noch in der verkrampften Hand und einen Ausdruck ungläubigen Staunens auf den Zügen.
Und sein Mörder stand über ihm.
Der Mann war nicht sehr groß. Trotz der Dunkelheit konnte Grodekerk erkennen, daß seine Haut tiefbraun und das Haar, von dem nur eine Strähne sichtbar war, blond und leicht gewellt war. Er war ganz in ein schwarzes, bis über die Knöchel fließendes Gewand gekleidet, das nahtlos in den schwarzen Turban überging, der auf seinem Kopf thronte.
»Keine Bewegung!« brüllte Grodekerk. Gleichzeitig riß er sein Schwert hoch und führte einen mächtigen, beidhändig geführten Streich nach dem Schädel des Mannes.
Der Schwarzgekleidete lachte, wich mit einem fast spielerischen Satz zur Seite – und verschwand.
Hendrik Grodekerk registrierte die Gefahr im letzten Moment, aber die Bewegung, mit der er herumfahren und sein Schwert heben wollte, kam zu spät.
Den Hieb, der ihn tötete, sah er nicht einmal mehr...
* * *
Über den Dächern von Amsterdam ging die Sonne auf. Die Dämmerung hing noch wie ein Hauch dünnen, rauchigen Nebels in der Luft und verwischte die Konturen der Häuser und Straßenschluchten, aber das Licht der roten Morgensonne war schon jetzt kräftig genug, die Nacht zu durchdringen und aufzulösen. Selbst hier drinnen, hinter den geschlossenen Doppelscheiben des Fensters, glaubte ich die Wärme ihrer Strahlen wie ein sanftes Streicheln auf der Haut zu spüren.
Es würde ein schöner Tag werden. Die wenigen Wolken, die sich an den Morgenhimmel dieses Julitages verirrt hatten, waren klein und weiß, und das Wasser der Grachten tief unter mir glänzte wie geschmolzenes Gold. Die wenigen Kähne, die darauf fuhren, wirkten wie Spielzeugschiffchen, aus der Höhe meines in der vierten Etage gelegenen Zimmers betrachtet.
Ja – es würde ein schöner Tag werden, nicht nur für Amsterdam. Nach dem ungewöhnlich harten und langen Winter, mit dem das Jahr begonnen hatte, brach der Sommer nun mit doppelter Macht herein, als wolle er gutmachen, was sein kalter Bruder den Menschen zugefügt hatte.
Und trotzdem spürte ich in mir nichts als Kälte. Kälte und ein Gefühl der Leere, das auf schwer in Worte zu fassende Weise weh tat.
Mein Blick löste sich von dem trügerisch ruhigen Bild, das das erwachende Amsterdam bot, und saugte sich am östlichen Horizont fest. Natürlich war es Einbildung, dessen war ich mir vollends bewußt – aber für einen Moment meinte ich, einen dunklen, pulsierenden Fleck in der Masse der Häuser zu erkennen, ein höllischer schwarzer Pfuhl, der wie das aufgerissene Maul eines steinernen Ungeheuers zuckte und bebte...
Mit einem Ruck wandte ich mich vom Fenster ab, preßte die Lider zusammen und zwang mich, an etwas anderes zu denken. Das Bild war nicht real. Es existierte nicht wirklich. Das mächtige Patrizierhaus, in dem ich mich aufhielt, befand sich nahezu am anderen Ende Amsterdams; Meilen um Meilen von der Van Dengsterstraat und dem menschenmordenden Moloch entfernt.
Und trotzdem kostete es mich unglaubliche Mühe, es zu vertreiben. Es war nicht dieses Bild, das mich ängstigte. Es war das Wissen, aus dem es geboren wurde.
Ich trat vom Fenster zurück, ging unschlüssig zwei oder dreimal durch das kleine, behaglich eingerichtete
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