Der Hexer - NR27 - Todesvisionen
wies ich auf Ixmal, der noch immer hoch aufgerichtet im Sattel stand und in die Unendlichkeit der Wüste starrte.
»Er hat Geier entdeckt. Irgendwo vor uns«, erklärte ich.
Bill fluchte leise, und Postlethwaite wandte sich im Sattel um und kramte mit fliegenden Fingern in einer seiner Gepäcktaschen. Nach einer Weile zog er ein kleines Fernglas hervor, setzte es an die Augen und folgte Ixmals Blick.
»Cathartes aura«, stellte er sachlich fest. »Truthahngeier. Besonders große Exemplare, soweit ich von hier aus feststellen kann. Sie scheinen über Aas zu kreisen.«
Dann endlich begriff er, setzte das Glas mit einem Ruck ab und starrte uns abwechselnd an.
»Gütiger Gott. Halten Sie es für möglich...«
»Allerdings«, gab ich betroffen zurück. »Ixmal sagt, seine Männer wären längst überfällig. Ich befürchte das Schlimmste.«
Inzwischen waren auch die restlichen Indianer herangekommen, und Ixmal redete in der gutturalen Sprache seines Volkes zu ihnen. Deutlich konnte ich das Entsetzen sehen, das sich auf den Gesichtern der Männer breitmachte. Dann wandte sich Ixmal wieder an uns.
»Wir reiten voraus«, sagte er. »Vielleicht wir können noch retten.« Und damit stieß er einen trillernden Ruf aus und trieb seinem Pony die nackten Fersen in die Flanken. Das Tier machte einen Satz vorwärts, und die anderen Ponys fielen fast gleichzeitig in den Galopp ein. Ich sah, daß auch Bill seinem Pferd die Sporen geben wollte, und hielt ihn im letzten Moment an der Schulter zurück.
»Das stehen unsere Pferde nicht durch«, erinnerte ich ihn. »Willst du den Rest des Weges zu Fuß gehen?«
Dieser Einwand brachte ihn zur Vernunft. Ohne Pferde hätten wir vielleicht noch einen Tag überleben können, höchstens zwei.
Wir erreichten die Stelle nach einer guten halben Stunde. Und zum zweitenmal an diesem Tag glaubte ich, dem Schrecken nicht mehr gewachsen zu sein. Die Indianer waren tot. Natürlich; insgeheim hatte ich nichts anderes erwartet. Aber sie waren auf fürchterliche Weise gestorben.
Ixmal und seine verbliebenen Männer hatten die Toten aus dem seichten Wasserloch gezogen, in dem sie gelegen hatten, und nebeneinander in den heißen Sand gebettet. Das Wasser war rot gefärbt von ihrem Blut.
Es waren die gleichen Wunden, an denen schon der Wachposten gestorben war: Bißmale und blutige Kratzer wie von fingerlangen Krallen. Und in ihren weit aufgerissenen Augen stand das Grauen.
»Wir werden sie begraben«, sagte Ixmal, mehr zu sich selbst als an uns gewandt. »Nicht weit von hier. Beten zu Götter, daß sie heimkehren in ewige Jagdgründe.« Seine Stimme stockte, und ich sah, daß Tränen in seinen Augenwinkeln glitzerten.
»Es tut mir leid, Ixmal«, sagte ich leise. »Wer immer verantwortlich ist für den Tod deiner Brüder, er wird es hundertfach bezahlen.«
Es war ein schwacher Trost, und ich wußte nicht einmal, ob ich mein Versprechen je würde einlösen können, aber ich fühlte mich mitschuldig am Schicksal der Indianer. Gewiß, ich hatte sie nicht gebeten, uns zu begleiten, aber hätte ich nicht ahnen müssen, was uns erwarten würde? Schließlich kannte ich Necron und seine tödlichen Fallen nur zu gut.
Elf Indianer ermordet, Teagarden und seine Männer von einem Saurier niedergemacht, Shadow verschollen... wie viele Opfer würde diese unglückselige Reise noch fordern?
Buffalo Bill trat von hinten an mich heran und legte mir seine Hand auf die Schulter. Irgendwie schien er zu ahnen, was mich bedrückte.
»Es ist dieser Necron, nicht wahr?« fragte er. »Er steckt hinter all dem.«
Ich wandte mich zu ihm um. »Ich weiß es nicht«, gab ich zurück. »Shadow hat die Wahrheit geahnt. Aber sie ist verschwunden, und Gott allein weiß, ob sie noch lebt.«
Irgendwie schaffte es Bill immer wieder, noch in den unmöglichsten Situationen ein Grinsen auf sein Gesicht zu zaubern. »Aber sicher lebt sie«, versicherte er mir, als stünde sie in diesem Moment hinter mir. »Kopf hoch, junger Mann. Wir werden die Nacht über hier lagern, und morgen sehen wir weiter.«
Selbst was das betraf, war ich mir nicht mehr sicher. Plötzlich glaubte ich zu wissen, daß wir viel Glück brauchen würden, um überhaupt noch den nächsten Morgen zu sehen.
Sehr viel Glück...
* * *
Das Kind kam unter Schmerzen. Immer wieder stöhnte die junge Squaw, bäumte sich in den weißen Laken auf und warf den schweißnassen Kopf mit den langen, schwarzen Haaren hin und her. Die Amme redete beruhigend auf das Mädchen
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