Der Hexer - NR27 - Todesvisionen
ein und strich ihr mit erfahrenen Händen über den Unterleib.
Es würde eine schwierige Geburt werden; natürlich, denn es war ein Kind, das niemals hätte geboren werden dürfen. Sie konnte nur zum Himmel flehen, daß der gütige Gott dem Kind vergeben möge; ihm und dem Vater, der nervös im Zimmer auf und ab lief wie ein hungriger Panther.
»Bitte, Sir, warten Sie doch draußen«, bat Mathilde zum gewiß zwanzigstenmal und wußte doch schon die Antwort, noch ehe der hochgewachsene Mann mit den langen, dunkelblonden Haaren stehenblieb und sich zu ihr umwandte.
»Ich bleibe hier, Ma’am«, sagte George Armstrong Custer energisch; mit einer Stimme, die keinen Widerspruch mehr duldete. »Kümmern Sie sich nicht um mich – Monahseetah ist es, die Ihre Hilfe braucht.« Er klopfte nervös über die Taschen seines eleganten grauen Rockes und zog einen Tabaksbeutel hervor.
»Sir, ich muß doch bitten!« fuhr Mathilde auf. »Meinetwegen bleiben Sie hier, aber wenn Sie jetzt auch noch zu rauchen beginnen, werde ich gehen!«
Lieutenant Colonel Custer starrte sie für einen Moment gedankenverloren an, ließ den Beutel wieder in seiner Tasche verschwinden und setzte seinen Weg durch das kärglich möblierte Zimmer fort. Heute trug er nicht seine maßgeschneiderte Generalsuniform aus dem Bürgerkrieg mit den goldblitzenden Knöpfen und silbernen Tressen. Er war nicht einmal anwesend hier in Fort Hays; offiziell jedenfalls nicht. Seine Anreise war auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin von der Kommandantur geheimgehalten worden.
Er war gekommen, um sein Kind zu sehen.
Natürlich war ihm das unerhörte Risiko bewußt, das er damit einging; niemand wußte bisher von seiner leidenschaftlichen Beziehung zu Monahseetah, der Squaw aus dem Stamm der Sioux.
Er hatte das Mädchen vor einem guten Jahr kennengelernt. Damals war sie eine Gefangene gewesen – eine Überlebende der Kämpfe um Black Cattles Village am Washita. Ihre Schönheit hatte ihn vergessen lassen, daß weder die Dienstvorschriften noch seine Frau Elizabeth das Verhältnis mit einer Roten billigen würden. Er hatte Monahseetah zu seiner »Dolmetscherin« ernannt, obwohl sie damals noch kein Wort Englisch sprach. Ihre Romanze hatte nur vier Monate gedauert, doch sie war tief gewesen und intensiv.
Wie intensiv, hatte er erst vor zwei Wochen erfahren, als ihn die verschlüsselte Depesche erreichte, mitten in den Kämpfen um die Black Hills. Mit allen militärischen Tricks hatte er sich einige Tage Urlaub errungen und fünf Pferde zuschanden geritten, um Fort Hays noch rechtzeitig zu erreichen.
Daß er dabei seine geliebten Hunde zurückgelassen hatte, die sonst stets um ihn waren (böse Zungen behaupteten gar, er würde mit ihnen das Bett teilen), war beinahe schon ein Wunder. Custer trennte sich fast nie von den Tieren, die er abgöttisch liebte.
Vom Bett her ertönte ein spitzer Schrei. Custer fuhr herum. Monahseetah bäumte sich auf und krallte ihre schlanken Finger in das Bettzeug. Die Amme hatte sich über sie gebeugt und kühlte ihre erhitzte Stirn mit einem feuchten Tuch.
»Tief atmen und gleichmäßig pressen!« wies sie das Mädchen an und fuhr zu Custer gewandt fort: »Nun machen Sie sich nützlich. Holen Sie das Wasser vom Feuer und bringen Sie es her, aber schnell!«
George Custer wollte zu einer scharfen Entgegnung ansetzen, als ihn ein neuerlicher Schrei Monahseetahs eines Besseren belehrte. Zum Geburtshelfer degradiert, eilte der Lieutenant Colonel zum Herd, um sich an dem kupfernen Kessel die Finger zu verbrennen.
Derweil krempelte sich Mathilde die Ärmel hoch und legte Geburtszange und frische Tücher bereit. »Es ist soweit, my Lord«, brummte sie lakonisch und bekreuzigte sich. Worte und eine Geste, wie sie sie bei jeder Geburt (und deren waren es schon viele) wiederholte. Und doch war es diesmal anders, auch wenn sie es sich nicht recht eingestehen wollte.
Ein dunkler Schatten schien über dem Raum zu schweben und das Licht der Kerzen zu dämpfen. Eine Atmosphäre wie vor einem schrecklichen Gewitter herrschte, und selbst Mathilde, sonst die Ruhe selbst, brannte der kalte Schweiß in den Augen. Die Luft roch stickig und verbraucht, obwohl das Fenster der kleinen Kammer weit offen stand.
Es war falsch, das Kind zur Welt zu bringen, das spürte sie jetzt ganz deutlich. Und doch war es ihre Pflicht; auch wenn sie es an diesem Abend hundertfach verwünschte.
Der große Mann mit den blonden Haaren und dem imposanten Schnurrbart kam heran
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