Der Hexer - NR29 - Necron - Legende des Bösen
glaubte ich das Gewicht der zahllosen Tonnen Fels und Mauerwerk, die sich über unseren Köpfen türmten, beinahe körperlich zu fühlen.
Shadow bewegte sich unruhig neben mir. Auch das Gesicht der El-o-hym wirkte angespannt und verkrampft Mit ihren feinen, ungleich schärferen Sinnen mußte sie die dämonische Ausstrahlung dieser Alptraumburg weitaus stärker empfinden als ich. Für Shadow mußte der Weg, den wir innerhalb der letzten zehn Minuten zurückgelegt hatten, im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle gewesen sein.
Sonderbarerweise tat der Gedanke fast wohl. Es hatte nichts mit Schadenfreude zu tun; nein – es tat einfach gut, zu wissen, daß ich mit meiner Angst nicht allein war. Und irgendwie machte es Shadow menschlicher, daß auch sie sich fürchtete.
Sie mußte meine Gefühle gespürt haben, denn genau in diesem Moment drehte sie sich halb zu mir herum und lächelte; ein sonderbar warmes, mitfühlendes Lächeln, das ihrem Engelsgesicht ein wenig von seiner sterilen Schönheit nahm und sie ein wenig verwundbarer, aber auch menschlicher erscheinen ließ. Sie sagte nichts, aber das war auch gar nicht nötig. Mit Ausnahme Priscyllas war Shadow vielleicht das einzige Wesen auf der Welt, mit dem ich mich auch ohne Worte verständigen konnte.
»Necron wußte die ganze Zeit, daß wir kommen, nicht wahr?« fragte ich.
Shadow nickte. »Gegen seinen Willen wären wir niemals hierhergekommen«, sagte sie.
Ihre Worte überraschten mich kein bißchen. Der Weg hierher, zu dieser bizarren Burg hinter dem Ende der Welt, war so mit Hindernissen und Fallen gespickt gewesen, daß alles Glück der Welt nicht ausgereicht hätte, ihn auch nur zur Hälfte zu bewältigen, ohne ein dutzend Mal umgebracht zu werden.
Aber die Erkenntnis ließ mich kalt; so wie alles andere.
Seit wir das Tor der Drachenburg durchschritten hatten, war eine sonderbare Veränderung mit mir vonstatten gegangen. Ich schien zweimal zu existieren: Es gab einen Robert Craven, der halb wahnsinnig vor Angst war und sich ebenso verzweifelt wie ergebnislos fragte, welcher Teufel ihn geritten haben mochte, freiwillig hierher zu kommen; eine Entscheidung, die etwa der gleichkam, freiwillig die Hand ins Maul eines mürrischen Haifisches zu legen und ihn am Gaumen zu kitzeln.
Aber es gab noch einen anderen Teil in mir, der alles, was bisher geschehen war – und alles, was noch geschehen mochte! –, mit beinahe stoischem Gleichmut betrachtete. Der Tod der fünf Tempelritter, unser eigenes Schicksal, das bevorstehende Treffen mit Necron und die einzig mögliche Konsequenz daraus – nämlich ein rasches, aber sicherlich höchst unerfreuliches Ende –, das alles ließ mich vollkommen unberührt.
Es gab nur noch einen einzigen Gedanken, der irgendwie von Bedeutung war – nämlich den, daß ich Priscylla wiedersehen würde.
Vielleicht würde ich danach sterben, aber wenn, dann hatte es sich gelohnt. Ich war in diesem Moment bereit, alles zu ertragen, was Necron mir antun konnte, wenn ich zuvor nur ein einziges Mal noch Priscyllas Gesicht sah.
»Dieser Ort ist nicht gut«, sagte Sitting Bull halblaut. »Wir sollten nicht hier sein.«
Um ein Haar hätte ich gelacht. Aber dann begegnete ich Sitting Bulls Blick, und die spöttische Bemerkung, die mir auf den Lippen lag, blieb mir buchstäblich im Halse stecken. Es war Sitting Bulls Art, seine Gedanken knapp und präzise auszudrücken, ohne die ganz und gar überflüssigen Schnörkel, die wir sogenannten zivilisierten Menschen uns angewöhnt hatten. Und treffender als er konnte man unsere Lage wohl kaum beschreiben. So nickte ich nur, warf Shadow ein neuerliches nervöses Lächeln zu und versuchte mich auf unsere Umgebung zu konzentrieren.
Es gab nicht viel zu sehen. Der Gang, durch den uns der Drachenkrieger geleitet hatte, verlief fenster- und türlos dreißig, vierzig Schritt weit geradeaus und endete vor einem schmucklosen, aber äußerst massiven Tor. Er erinnerte mehr an einen aus dem Berg gehauenen Stollen als an einen von Menschenhand gebauten Gang, und vielleicht war es das auch, denn ein Gutteil der bizarren Burg schien direkt aus dem Fels herausgemeißelt zu sein. Möglicherweise befanden wir uns in Wahrheit schon tief unter der Erde statt auf dem Gipfel eines Berges.
Möglicherweise auch nicht einmal mehr in unserer Welt.
Ich hatte den Berg in seiner ganzen Größe gesehen. Er war ein Gigant, ein zyklopischer Kegel aus schwarz erstarrter Lava und Granit, eine, wenn nicht zwei Meilen hoch und
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