Der Hexer - NR36 - Das Hirn von London
fand.
»Allah hat uns gerettet«, sagte er und deutete zum Himmel hinauf. »Er hat uns einen Dschinn gesandt, um die Dharan zu vertreiben.«
»Einen Dschinn?« Wiederholte Baskerville verwirrt. »Nun, ich würde eher sagen, daß es ein guter Engel war.« Dann erst kam ihm recht zu Bewußtsein, was er da von sich gegeben hatte, und er lachte laut auf.
Dschinns?
Engel?
Er glaubte weder an das eine noch an das andere. Er war ein nüchterner, aufgeklärter Mensch, der mit beiden Füßen fest auf dem Boden der Tatsachen stand. Für übernatürliche Dinge war in seinem Denken kein Platz. Sie gehörten in den Bereich von Ammenmärchen, Aberglauben und krankhafter Einbildung.
»Alles Unsinn«, sagte er. »Es war ein Blitz, sonst gar nichts!«
Chalef schüttelte heftig den Kopf. »Kein Blitz! Die riesenhafte Gestalt, die wir gesehen haben...«
»Eine Luftspiegelung«, erklärte Baskerville überzeugt. »So etwas wie eine Fata Morgana. Schließlich befinden wir uns in der Wüste, nicht wahr?«
»Das war keine Fata Morgana«, widersprach Chalef. »Ich habe schon mehr als eine gesehen. Und wie ist es zu erklären, daß der Sturm so plötzlich abbrach? Eine höhere Macht hat ihm Einhalt geboten!«
»Jeder Sturm geht einmal zu Ende.«
»Aber nicht von einem Augenblick zum anderen«, beharrte Chalef im Brustton der Überzeugung. »Nur eine höhere Macht...«
»Allah!« Baskerville grinste.
Chalef erwiderte das Grinsen nicht. Im Gegenteil; er wurde noch ernster und nickte nur bekräftigend.
Henry Baskerville verspürte keine Neigung, die fruchtlose Diskussion fortzusetzen. Er kannte seinen Diener gut genug, um zu wissen, daß er den braven Burschen doch nicht überzeugen konnte. Chalef war so abergläubisch wie eine irische Waschfrau.
»In Ordnung«, sagte er deshalb. »Danken wir also Allah für unsere wundersame Rettung vor dem heiligen und gerechten Zorn der Wüstenkrieger.«
Und vor diesem Zorn waren sie in der Tat jetzt sicher. Die Dharan hatten sich in ihrer Panik so schnell davongemacht, daß sie längst am Horizont verschwunden waren. Nichts sprach dafür, daß sie ihren Sinn noch ändern und zurückkommen würden.
Erst jetzt wurde sich Henry Baskerville bewußt, daß ihn die wilde Hetzjagd viel von seiner Kraft gekostet hatte. Auch die Pferde ließen erschöpft die Köpfe hängen, flockiger Schaum stand vor ihren Nüstern. Ihnen allen konnte eine Rast nur guttun. Außerdem würde es jetzt sehr schnell dunkel werden. Und mit der Dunkelheit kam die Kälte, die in der Wüste auf sehr unangenehme Grade fallen konnte. Henry Baskerville richtete sich kurz im Sattel auf und ließ seinen Blick über die endlose Weite schweifen.
»Wie weit ist es bis zum nächsten Wasserloch?« fragte er seinen Diener.
»Mehrere Stunden«, antwortete Chalef sofort. Baskerville sah ihn kritisch an, die Antwort kam ihm etwas zu schnell. Aber er hatte keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Chalef kannte sich in der Arabischen Wüste bestens aus, das hatte er schon des öfteren bewiesen.
»Schön«, sagte Baskerville. »Weiterreiten hat also keinen Sinn. Bleiben wir gleich an Ort und Stelle und suchen uns einen Platz für das Nachtlager.«
Er war nicht einmal undankbar dafür, daß die nächste Wasserstelle außer Reichweite lag. Man konnte nie wissen, welches Gesindel sich nachts an diesen Lebensadern der Wüste einfand, und wonach ihm der Sinn stand. Da sie jedoch ihre Wasservorräte im Zeltdorf der Dharan aufgefüllt hatten, würden sie in dieser Beziehung keinen Mangel leiden müssen.
Chalef erhob keine Einwände gegen Baskervilles Vorschlag. Auch er war davon überzeugt, daß von Seiten der Beduinen keine Gefahr mehr drohte. Mit erhobener Hand deutete er zu einer Düne hinüber, die kaum hundert Yards entfernt lag.
Wenig später hatten die beiden Männer den Fuß der Düne erreicht und stiegen aus den Sätteln. Während Baskerville daran ging, die Pferde aus einem der mitgeführten Wasserschläuche zu tränken, begann Chalef, das Zelt aufzubauen.
Der arabische Diener hatte noch nicht die zweite Zeltstange in den Wüstensand gerammt, als er einen kurzen, angsterfüllten Schrei ausstieß.
Baskerville hob den Kopf und blickte zu ihm hinüber. Chalef stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Mit weit aufgerissenen Augen und einem Gesichtsausdruck, in dem sich alle Schrecken dieser Welt widerspiegelten, starrte er auf den Boden zu seinen Füßen.
»Was ist passiert?« Fragte Baskerville.
Chalefs Mund bewegte sich, aber es kamen nur
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