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Der Hexer - NR36 - Das Hirn von London

Der Hexer - NR36 - Das Hirn von London

Titel: Der Hexer - NR36 - Das Hirn von London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
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unartikulierte Töne hervor.
    Laute eines Entsetzens, das sich nicht in Worte kleiden ließ.
    Aufs höchste alarmiert, wandte sich Henry Baskerville von den beiden Pferden ab und trat an die Seite seines arabischen Dieners. Weitere Fragen waren überflüssig. Er sah mit eigenen Augen, was Chalef so entsetzt hatte. Und er mußte zugeben, daß auch ihn selbst ein eiskalter Schauder überlief.
    Vor ihm lag, halb vom Wüstensand begraben, ein... Mensch. Er war tot, schon seit langer, langer Zeit. Ganz offensichtlich hatte er all die Jahre über völlig vom Sand bedeckt dagelegen und war erst jetzt durch den Sturm wieder ans Tageslicht gebracht worden. Die Sandschichten hatten seinen Körper völlig mumifiziert, so daß er aussah wie gegerbtes Leder oder Pergament. Dennoch ließ sein verschrumpeltes Gesicht auch jetzt noch einen Ausdruck erkennen, der dem Chalefs auf erschreckende Weise ähnlich sah: Entsetzen, Schrecken und Todesangst hatten sich in seine vertrockneten Züge gegraben.
    Der Mann war ermordet worden. Ein Pfeil hatte seinen Hals durchbohrt und seinem Leben ein Ende gesetzt.
    Henry Baskerville kratzte sich nachdenklich am Kinn, als er auf den Toten hinabblickte. Der Mann war kein Araber gewesen, sondern ganz eindeutig ein Europäer, doch seine Kleidung war so bizarr, daß Baskerville sich zu dieser Schlußfolgerung nur mühsam durchringen konnte. Er trug einen weißen, weit geschnittenen Umhang, auf dessen Brustteil ein rotes, gleichschenkliges Balkenkreuz prangte. Auf dem Kopf trug er einen metallenen Helm, und in einer Scheide an seiner Seite steckte ein Schwert. Baskerville war ein gebildeter und belesener Mensch, und nach den ersten Sekunden der Verwirrung dämmerte es ihm, wen er hier vor sich hatte.
    Der Tote war ein Templer. Ein Angehöriger jenes sagenumwobenen geistlichen Ritterordens, den die Kreuzfahrer Anfang des zwölften Jahrhunderts gegründet hatten.
    Eine gewisse Ehrfurcht überkam Henry Baskerville, als er sich bewußt wurde, daß der ehemalige Tempelherr wahrscheinlich seit länger als achthundert Jahren hier lag, in seinem sandigen Grab gefangen...
    Er sah auf und wandte sich wieder an Chalef, der den Toten nach wie vor mit starrem Blick und offenkundigem Entsetzen betrachtete. Fast so, fuhr es Baskerville durch den Sinn, als befürchte er, der Templer könne jeden Augenblick von den Toten auferstehen und ihm an die Gurgel fahren.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Der Mann ist seit vielen Jahrhunderten tot.«
    »Seit vielen Jahrhunderten?« Wiederholte Chalef fast tonlos. Dann schüttelte er bedächtig den Kopf. »Nein, er ist vielleicht erst vor wenigen Tagen oder...« Er brach ab und – blickte sich gehetzt nach allen Seiten um, wobei sich der angstvolle Ausdruck in seinen Zügen noch verstärkte.
    Henry Baskerville lachte. Erst jetzt wurde ihm klar, daß sein Diener keine Furcht vor dem Toten hatte, sondern vor demjenigen, der den Templer einst ermordet hatte. Daß dieser Mörder ebenfalls schon vor Jahrhunderten das Zeitliche gesegnet haben mußte, begriff er in seiner Einfalt gar nicht.
    »Ja, paß nur gut auf«, spottete Baskerville, noch immer lachend. »Vielleicht sitzt der Killer... da oben?« Er deutete zum Gipfel der Düne empor, die gut dreißig Yards in die Höhe ragte.
    Chalef folgte dem Blick seines ausgestreckten Zeigefingers. Offenbar hielt er es tatsächlich für möglich, daß dort oben jemand lauerte, der seinen Pfeil schon auf die Bogensehne gelegt hatte und bereit war, ihn jeden Augenblick losschnellen zu lassen.
    Baskerville achtete nicht weiter auf seinen Diener. Der Tempelherr interessierte ihn im Augenblick ungleich mehr. Er ging in die Knie und beugte sich zu dem mumifizierten Gesicht des Toten herab. Natürlich war kein Leichengeruch wahrzunehmen, was er nach achthundert Jahren wohl auch kaum erwarten konnte. Er wagte nicht, den Leichnam zu berühren. Nicht etwa, weil er Ekel oder gar Angst davor verspürt hätte. Nein, seine Bedenken waren rein wissenschaftlicher Natur. Er konnte nicht ausschließen, daß der Mumifizierte bei einer Berührung zu Staub zerfiel. Und das wäre ihm wie ein Sakrileg erschienen. Seit unvorstellbar langer Zeit hatte der Tempelritter körperlich nahezu unversehrt hier im Wüstensand geruht, und Baskerville wollte nicht die Ursache dafür sein, daß dieser Zustand ein so abruptes Ende fand. Dennoch drängte es ihn danach, irgend etwas von dem Toten in seinen Besitz zu bringen, diesmal allerdings nicht so sehr aus

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