Der Hexer - NR41 - Die phantastische Reise
hohen Pyramide; deutlich konnte ich im Schein der Fackel die schräg zu einer Spitze zusammenlaufenden steinernen Wände erkennen. Ein Ort, den seit Generationen keines Menschen Fuß mehr betreten haben mochte – der Opfertempel der Dhahab.
Und obgleich sich mein klarer Verstand dagegen sträubte, glaubte ich fast den Odem des Grauens zu schmecken, der auf immer hier unten gefangen war, und die Schreie der grausam Ermordeten zu hören, als hätte sich der Widerhall ihrer Qual in diese blutigen Mauern eingebrannt...
Unsinn! Wollte ich mich denn selbst irre machen? Hastig löste ich meinen Blick von den finsteren Schatten, in denen meine Phantasie unheimliches Leben zu erwecken begann, und zwang ihn unter die spitze Kuppel der Pyramide.
Und fühlte wieder eisigen Schrecken in mir aufsteigen. Denn wo eigentlich das Loch, durch das wir gestürzt waren, die Symmetrie der Pyramide hätte durchbrechen müssen... war nichts. Die Spitze war vollkommen; keine Spur von einem Einstieg.
»Die Platte hat sich wieder geschlossen«, erriet Sill meine Gedanken. »Aber diesen Weg hätten wir ohnehin nicht nehmen können.«
»Zu hoch«, pflichtete ich ihr bei. Verdammt! Vom Regen in die Traufe! Für Sekunden lag ich reglos da und versuchte die wirbelnden Gedanken hinter meiner Stirn zu ordnen. Dabei fand ich die Frage wieder, die mir schon seit meinem unsanften Erwachen auf der Zunge brannte, und ich wandte Sill – ungleich vorsichtiger diesmal – den Kopf zu. »Wo hast du die Fackel gefunden?«
Sill erwiderte meinen Blick, blieb aber stumm. Und dann verzog sich ihr Gesicht langsam zu einem breiten Grinsen. Fast wie ein Kind, das den Triumph über eine gelungene Überraschung auskosten wollte. »Du weißt einen Weg hier heraus«, vermutete ich. Und traf ins Schwarze.
»Als was würdest du das dort bezeichnen?« erkundigte sie sich wie beiläufig – was ihr freilich nicht ganz gelang, denn ihre Stimme bebte vor freudiger Erregung – und deutete hinter sich. Ich mußte mir fast den Hals verrenken, um der Geste zu folgen.
Der Ausstieg aus der Kammer lag nur knapp drei Fuß über dem Knochenmeer und wurde von zwei Fackeln flankiert, die in eisernen Halterungen staken. Eine davon hatte Sill entzündet, und ihr flackernder Schein riß ein helles, unstet schwankendes Dreieck aus der Dunkelheit. Ein Gang! Soweit ich erkennen konnte, führte er in sanfter Steigung bergauf. Zur Oberfläche zurück!
»Es war nicht einfach, die Fackel zu entzünden«, fuhr Sill fort. »Die Dinger sind fast versteinert. Wer weiß, wie lange dieser Tempel hier schon verborgen liegt.« Sie machte eine vage Bewegung mit der Hand. »Der Legende nach sind die Dhahab vor mehr als dreihundert Jahren ausgestorben... Nun –«, sie stockte und lachte dann nervös auf, »es heißt, Anubis hätte sie zu sich geholt, durch die Pyramiden in sein Totenreich entführt.«
Ich kann nicht leugnen, daß mir bei diesen Worten ein kalter Schauer über den Rücken lief. Diese Legende nahm Formen an, die mir nicht sonderlich behagten. Selbst Sill el Mot, die als Kind dieser Wüste gewiß Realität und Sage zu unterscheiden wußte, schien ihr mehr Wahrheit beizumessen, als sie mich glauben machen wollte.
Ich fand, daß es nunmehr an der Zeit war, diesen ungastlichen Ort zu verlassen! Wieder schien Sill meine Gedanken zu erraten, noch bevor ich Gelegenheit fand, sie auszusprechen. Sie rollte sich wieder auf den Bauch und begann, auf den Ausstieg zuzukriechen. Das wuchtige, zweischneidig geschliffene Schwert an ihrer Seite pflügte eine tiefe Schneise in den Acker morscher Gebeine.
Ich folgte ihrem Beispiel – und verharrte wieder in der Bewegung. »Mein Stockdegen«, erinnerte ich mich mit leisem Schrecken.
Sill drehte sich halb zu mir herum. »Vergiß es«, sagte sie und schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich habe schon alles abgesucht – ohne Erfolg. Er muß geradewegs zwischen die Knochen gerutscht sein, wahrscheinlich sogar bis zum Grund.«
»Ich muß ihn finden!« beharrte ich, energischer, als ich es eigentlich wollte. Natürlich konnte Sill nicht ahnen, was mir der Degen bedeutete, daß er mehr war als eine einfache Waffe; viel mehr. Der Shoggotenstern in seinem Knauf hatte mir mehr als einmal das Leben gerettet. Außerdem – wieder wollte ich es mir nicht recht eingestehen, doch ich hatte es schon zu oft gespürt, als daß ich es leugnen konnte – war da etwas, das ihn weit über eine scharfe Klinge und einen hölzernen Schaft heraushob. Auf geheimnisvolle,
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