Der Hexer - NR41 - Die phantastische Reise
immer näher und näher und näher –
Herbert George Wells begann zu schreien. So lange, bis die Ruhmkorffsche Lampe mit einem plötzlichen Flackern erlosch...
* * *
Ich schreckte auf, als sich die blitzenden Zähne des Wolfes in meinen Arm bohrten und das Fleisch von den Knochen rissen. Mit einem Schrei fuhr ich hoch, schlug wie besessen um mich, versuchte, die Bestie abzuwehren –
und kam endlich zur Besinnung.
Der dunkle Schemen des Wolfes verschwamm im Zwielicht einer blakenden Fackel, wurde zu einem schmalen Gesicht mit großen dunklen Augen, die mich besorgt musterten.
»Wie geht es dir?« fragte Sill leise, riß einen weiteren Streifen aus meinem seidenen Hemd und wickelte ihn um die Wunde an meinem Unterarm. Sie hatte ihre Jellaba aus grobem Stoff abgelegt, und der Lichtschein brach sich wie glitzernder Tau auf den stählernen Maschen ihres Kettenhemdes. Ich fiel mit einem erleichterten Seufzen zurück und verdrängte die letzten Schatten des Alptraumes. Unter mir knackte es wie trockenes Holz, etwas geriet ins Rutschen, und ich sank ein gutes Stück in den Reisighaufen ein, auf dem ich offenbar lag.
»Wenn ich bedenke, daß wir eigentlich schon tot sein müßten, geht es mir nicht einmal schlecht«, antwortete ich etwas verspätet. »Aber frage mich bitte nicht, wie ich mich fühle.« Ich grinste – zugegebenermaßen reichlich schief, denn eben schoß eine neue Schmerzwelle den verletzten Arm hinauf und explodierte in meinem Hirn – und versuchte das Reisig unter meinem Kopf ein wenig zurechtzurücken. Im nächsten Moment hielt ich irritiert inne. Das war doch kein Holz...? Ich zog einen der Äste hervor und drehte ihn im Licht der Fackel vor meinem Gesicht.
Und fuhr mit einem Schrei so abrupt in die Höhe, daß Sill das Gleichgewicht verlor und haltlos nach hinten kippte. Sie versank bis zu den Hüften in einem Meer von bleichen Knochen.
Und nichts anderes hielt ich auch in Händen: einen spitz zulaufenden, halbmondförmig gebogenen Rippenknochen. Sekundenlang stierte ich noch ungläubig auf das Ding in meiner Hand, ohne recht zu begreifen. Dann warf ich es angeekelt von mir und versuchte, eilig auf die Füße zu kommen.
Als ich die Sinnlosigkeit meines Vorhabens endlich einsah, steckte ich bereits bis zum Nabel in bleichem Gebein. Die Knochen lagen so locker übereinander (und so tief!), daß sie jeder Belastung sofort nachgaben. Außerdem waren sie derart morsch, daß sie unter dem leisesten Druck zerbrachen. Die Dhahab mußten ihrem Gott wahrlich getreue Diener gewesen sein; ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß es menschliche Knochen waren, in die ich tiefer und tiefer versank, je verzweifelter ich versuchte, mich aus dem grausigen Sumpf zu befreien.
Jahrhundertealter Staub wallte auf und nahm mir den Atem, und das Knirschen und Brechen unter mir wurde für schreckliche Sekunden zum Mahlen eines riesigen Kiefers, der sich mit knöchernen Zähnen um mich schloß.
Ein Grab! Ein gigantisches, lebendes Grab, das mich verschlingen wollte!
»Hör auf, dich dagegen zu wehren, Robert! Es hat keinen Sinn!« Jetzt erst drang Sills energische Stimme in mein Bewußtsein, und ich versuchte mich zu ihr umzuwenden. Die Bewegung kostete mich zwei weitere Handbreit Boden. »Ich habe es schon versucht«, fuhr sie fort. »Du mußt dein Gewicht gleichmäßig verteilen. Warte, ich helfe dir.«
Mit diesen Worten beugte sie sich weit vor, wand ihren schlanken Körper behutsam aus dem Knochengewirr und robbte mit gespreizten Armen und Beinen auf mich zu.
Nach etlichen Versuchen, die ich mit einer unbedachten Bewegung im falschen Augenblick immer wieder zu vereiteln verstand, hatten wir es geschafft und ruhten ausgebreitet wie Seesterne auf dem grausigen Untergrund. Es war eine bizarre Situation – ich lag auf einem Meer von Knochen, in einer Qpferstätte, die wohl mehr Blut und Qualen gesehen hatte, als ich es mir auszumalen vermochte, doch alles, was ich nach dem ersten, plötzlichen Schrecken empfand, war... ja, Erleichterung. Eine tiefe Dankbarkeit, noch am Leben zu sein, nachdem ich die bleiche Fratze des Todes schon vor mir gesehen hatte. Und ich brauchte nur in Sills Augen zu blicken, um zu erkennen, daß sie genauso empfand. Wir waren dem Todeswind entkommen. Das allein zählte.
Und während wir noch dalagen und nach Atem rangen, fand ich endlich Gelegenheit, unsere Umgebung einer näheren Betrachtung zu unterziehen.
Wir befanden uns unverkennbar im Innenraum einer etwa fünfzehn Yards
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