Der Hexer - NR41 - Die phantastische Reise
Dunkelheit finden mußten. Doch in ihrem flackernden Schein mußten wir nun erkennen, daß unsere Hoffnung, einen Weg zur Oberfläche zu finden, verfrüht gewesen war. Verlief der Tunnel auch auf den ersten Yards stetig in die Höhe, so knickte er nun um gut sechzig Grad ab und führte wieder tiefer in den Fels hinein. Ich wandte mich zu Sill um, die ein Stück zurückgefallen war, nun aber aufschloß und im nächsten Moment gleichfalls zusammenschrak.
»Und was nun?« brach sie nach einer Weile das Schweigen, das sich angesichts dieser unerwarteten Wendung über uns gelegt hatte.
Ich hob die Schultern und zog mich mit einem Ruck über den Scheitelpunkt des Tunnels. »Weiter. Was sonst? Oder hast du Sehnsucht nach –«
Die spöttische Bemerkung, die mir in einem Anflug von Galgenhumor auf der Zunge gelegen hatte, blieb mir im Halse stecken.
»Was war das?« flüsterte Sill erschrocken. Auch sie hatte das leise Geräusch vernommen, das plötzlich aus der Dunkelheit des Ganges an unsere Ohren gedrungen war. Ein Knirschen und Schaben, als wenn sich große steinerne Blöcke bewegten und gegeneinanderrieben. Aber noch bevor wir den Laut recht bestimmen konnten, war er schon wieder verstummt. Und abermals herrschte Totenstille.
Diesmal war ich es, der das Schweigen brach. »Ich fürchte, die Opferplatte war nicht der einzige Mechanismus hier«, vermutete ich. »Ich wüßte nur gern, was wir da ausgelöst haben.«
Sill kniff ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Ihre Hand tastete unbewußt nach dem Knauf des wuchtigen Schwertes, als sie an mir vorbei in die Dunkelheit starrte.
»Vielleicht sollten wir tatsächlich umkehren«, sagte sie schließlich. »Noch sind wir zumindest in der Nähe der Erdoberfläche. Außerdem« – sie schlug mit der flachen Hand auf die Schneide ihres Schwertes – »ziehe ich einen ordentlichen Kampf einem ungewissen Schicksal vor. Wer weiß, wo der Tunnel hinführt. Und ob uns der Rückweg nicht versperrt wird, wenn wir weitergehen.«
Ich hätte auf sie hören sollen damals. Bis heute weiß ich nicht, welcher Teufel mich ritt, als ich den Kopf schüttelte und sagte: »Warte hier auf mich. Ich werde es herausfinden.«
Und weiterkroch, ohne auch nur auf ihre Antwort zu warten. Vielleicht war es eine plötzliche, durch nichts begründete Hoffnung, einen Sesam-öffne-dich zu finden, der geradeaus ins Freie führte. Vielleicht war es die Angst, noch einmal auf jene unheimliche Kreatur zu treffen, deren Kräfte ich deutlicher zu spüren bekommen hatte als Sill. Vielleicht war es auch nur bloße kindische Neugierde.
Auf jeden Fall war es das Falscheste, was ich in diesem Moment tun konnte.
Und dabei ging es die ersten drei, vier Yards noch gut voran. So lange jedenfalls, bis ich mit eisigem Schrecken feststellen mußte, daß der Boden des Tunnels unter meinen Händen nachzugeben begann.
Der Scheitelpunkt, den ich gerade überwunden hatte, senkte sich mit einem ohrenbetäubenden Kreischen herab. Ich verlor den Halt, rutschte auf der plötzlich entstandenen Schräge nach unten – und einem finsteren Spalt entgegen, der sich wie ein hungriges Maul vor mir öffnete. Mit einem Schrei fuhr ich herum und versuchte mich an den glatten Wänden des Tunnels festzukrallen. Ich spürte kaum, wie meine Fingernägel brachen, wie mein Blut den Stein benetzte und rutschig machte.
Es war ein sinnloses Unterfangen. Die Anstrengungen der letzten Minuten und die Verletzung, die ich mir selbst beigebracht hatte, forderten ihren Tribut. Meine Kräfte erlahmten rasch. Ich glitt aus, schlug mit dem Kopf gegen den Fels und rutschte rasend schnell nach unten weg.
Für den Bruchteil einer Sekunde erhaschte ich noch einen Blick in Sills entsetzt aufgerissene Augen, als sie vor mir in der Dunkelheit des Schachtes verschwand, der sich unter uns auf getan hatte. Dann erreichte auch ich den Rand der Schräge, versuchte ein letztes Mal, an den spiegelglatten Wänden Halt zu finden, stieß mit den Füßen ins Leere –
und stürzte hinab in eine bodenlose Finsternis. Sah weit unter mir die wild taumelnde Lichtspur der Fackel. Hörte Sills gellenden Schrei in meinen Ohren hallen. Fühlte, wie etwas tief in mir zerbrach und sich gleichsam vom Körper zu lösen schien, wie alles um mich herum mit einem Male so leicht und nichtig wurde.
»Anubis’ Totenreich!« war mein letzter, erstaunter Gedanke, bevor sich meine Sinne vollends verwirrten. »Die Legende hatte doch recht...«
* * *
Mit einem Male war nichts
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