Der Hexer - NR44 - Endstation Hölle
und dunkler, mit jedem Jahr, das Rajniv Sundhales lebte.
»Mein Schutz ist nicht genug, Talsah«, sagte er leise. »Ich bin besorgt, und ich weiß, daß es zu meinen Aufgaben gehört, alles abzuwehren. Folge mir!«
Er löste seine Hand aus der des Jungen und schritt davon. Er hielt die pupillenlosen Augen zu Boden gerichtet und hatte den Kopf ein wenig geneigt, um besser hören zu können. Links fiel das Gelände steil in das Tal ab, rechts lag die Kuppe des Hügels, dicht an dicht von Bäumen und Büschen bewachsen, in denen unzählige Vogelarten ihr ewiges Lied trällerten.
Diesmal hatte Rajniv Sundhales kein Ohr dafür. Er lauschte auf seine Schritte und die Geräusche, die sie erzeugten. Er bewegte sich immer in der Mitte zwischen Hügel und Abhang entlang. Er ging nicht fehl, und er fand den schmalen Pfad, der hinab in das Tal führte, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, daß ein Blinder dahineilte wie ein junger Mann.
Er begann bergab zu schreiten, und Talsah folgte ihm, einen Arm nach vorn gestreckt, um ihn zu halten, falls er zu stürzen drohte. Als sie die ersten Weiden auf halber Höhe erreicht hatten, wurden die Schäfer auf Rajniv aufmerksam. Sie erhoben ein Geschrei und sammelten sich, um ihm entgegenzugehen.
»Verschwinde!« riefen sie ihm zu. »Du verhext unser Vieh, und die Weiber werden irr, wenn sie dich sehen!«
»Ich will nicht in das Dorf!« rief der alte Mann laut und hob die Arme. »Ich will in die Höhle. Ihr könnt es mir nicht verbieten!«
Erste Steine kamen geflogen, und einer traf ihn an der Schulter. Talsah stellte sich schützend vor ihn, und die Steinwürfe hörten auf. Die Schäfer begannen zu murren, aber schließlich räumten sie das Feld und verschwanden hinter den Bäumen. Talsah aber nahm seinen Lehrer und Meister bei der Hand und führte ihn hinab bis zur Abzweigung in die Schlucht. Der Wasserfall stürzte hier von hoch oben herab, ein kleines Rinnsal, das früher einmal mehr Wasser geführt haben mußte und die Schlucht geschaffen hatte. Es war viele Generationen her, wie Rajniv sagte, und weil er es sagte, glaubte Talsah daran. Er hatte noch nie erlebt, daß der Weise vom Berg gesprochen hätte, ohne vorher gründlich zu überlegen.
Wieder sah Rajniv Sundhales durch die Augen seines Schülers, und er riß ihn mit sich, und aus seinem Mund kam ein beängstigendes Pfeifen von Luft, ein Geräusch, das Talsah noch nie von ihm vernommen hatte.
»Es eilt«, stieß der Alte hervor. »Etwas geschieht, und es ist entsetzlich!«
Er zog ihn davon und schwieg, bis sie die Höhle erreicht hatten. Ein Felsüberhang wies auf den Eingang hin. Sundhales zog Talsah darunter und deutete auf das Loch, das ihnen dunkel und unheimlich entgegengähnte.
»Führe mich hinein!« verlangte er. »Verliere keine Zeit!«
Talsah wäre ein schlechter Schüler gewesen, wenn er widersprochen und ihn in lange Streitgespräche verwickelt hätte. Er tat wie geheißen, und er hielt erst an, als Sundhales von allein stehenblieb.
»Sie sind angekommen«, hauchte er. »Spürst du es nicht? Nein, du kannst es nicht spüren. Du weißt nicht, wie es ist, wenn man etwas erfährt, ohne es mit den Augen zu sehen. Damals, ja, da hat es bei mir eine Zeit des Übergangs gegeben. Mit der Erblindung kam das innere Sehen, ohne das ich nicht in der Lage wäre, meine eigentliche Fähigkeiten einzusetzen. Das schleichende, Gift, das der Templer mir damals gab – es hat seine Wirkung gezeigt!«
Er verstummte und hörte zu, wie Talsah ein Kienholz entzündete und die Höhle durchsuchte. Er kehrte zufrieden zurück und berichtete, daß sich kein Ungeziefer und kein Raubtier in der Höhle aufhielt.
Sundhales lächelte. Sein Gesicht verstrahlte dieses gütige und alles einnehmende Lächeln, nur die Augen blieben tot, hellblauen Murmeln ähnlich, auf die jemand in künstlerischer Ignoranz zwei weiße Kleckse gemalt hatte.
»Lösche das Holz, wir benötigen es später!« Rajniv erhob sich und stützte sich mit der linken Hand gegen das feuchte Gestein. Die Hand strahlte Wärme ab und trocknete den Fels, und der Alte fuhr mit erhobener Stimme fort: »Es ist eine bösartige Ausstrahlung. Sie weht von Westen her, und sie hat von einem Menschen Besitz ergriffen. Er tut, was sie ihm eingibt. Er wird verfolgt, und er stellt seinen Verfolgern eine Falle. Sei still jetzt, störe deinen Meister nicht. Ich will versuchen, ihn zu retten.«
Er ertastete einen Felsvorsprung und setzte sich darauf, beugte Kopf und
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