Der Hexer - NR47 - Stadt der bösen Träume
durch den wenigen Schlaf der letzten Zeit geschwächt war. Sein Körper schrie nach einigen Stunden Ruhe, aber Nemo wußte, daß ein Einschlafen gleichbedeutend mit dem Tod war. Im Schlaf war er dem unheilvollen Einfluß hilflos ausgeliefert.
Zum tausendsten Male verfluchte er seinen Entschluß, die Erde dieses verfluchten Eilandes aufreißen zu lassen. Seinen Mitarbeitern hatte er erzählt, Erz fördern zu wollen, aber in Wirklichkeit war es um etwas ganz anderes gegangen. Es gab Shoggotensterne auf der Insel, er selbst hatte sieben Stück entdeckt und daraufhin den Stützpunkt hier angelegt. Niemand wußte, woher die seltsamen, fünfzackigen Steine stammten, aber er wußte zumindest um ihre Wirkung. Sechs der gefundenen Steine hatte er Howard Lovecraft vor langer Zeit gegeben. Nun hatte er in der Tiefe der Erde nach weiteren Exemplaren suchen wollen, blind für die Gefahren, die damit verbunden waren.
Die Sonne war inzwischen fast völlig hinter den Bergen versunken, die die Insel als ein natürlicher Schutzwall umgaben und bislang vor jeder Entdeckung geschützt hatten. Durch das offene Fenster krochen die Dunkelheit und Kälte der Dezembernacht ins Zimmer und ließen ihn frösteln. Trotzdem wagte er nicht, das Fenster zu schließen. Die Kälte hielt ihn wenigstens wach.
Müde wandte Nemo sich um und trat an seinen Schreibtisch, wo er mit klammen Fingern eine Kerze entzündete. Das elektrische Licht funktionierte nicht mehr; natürlich nicht, denn er war allein. Nach dem Verschwinden seiner letzten Mitarbeiter gab es niemanden mehr, der die Energiezentrale kontrollierte, und die Stromversorgung war zusammengebrochen.
Das Kerzenlicht drängte die Schatten der Nacht zurück. Wenn es auch nicht in der Lage war, den großen Raum völlig zu erleuchten, so schuf es doch eine Oase anheimelnder Helligkeit. Die Kerzenflamme erschien Nemo wie ein Symbol für seine eigene Situation. Eine Weile mochte das Licht siegreich bleiben, doch hinter dem Lichtkreis lauerte die Finsternis wie eine massive Mauer. Irgendwann würde die Kerze abgebrannt sein und ihren hoffnungslosen Kampf verlieren – genau wie er.
Soweit würde er es nicht kommen lassen.
Nemo rang sich zu einem Entschluß durch, den er schon viel früher hätte fassen müssen. Er zweifelte nicht daran, daß Howard und Robert ihm zu helfen versuchen würden, aber ebenso sicher war auch, daß die NAUTILUS im günstigsten Fall noch zwei, drei Tage brauchen würde, um die Insel zu erreichen.
Wenn sie überhaupt kam. Die letzten Nachrichten, die er vor mehr als zwei Tagen erhalten hatte, bevor die Verbindung plötzlich abgerissen war, hatten wenig ermutigend geklungen. Der Einfluß des mentalen Lockens machte sich selbst auf dem weit entfernten Unterseeboot noch bemerkbar. Es würde sich verstärken, je näher die NAUTILUS kam, und es war fraglich, ob Howard und sein Hexerfreund dagegen ankamen. Hier, an Ort und Stelle, konnten sie vielleicht etwas ausrichten, aber kaum an Bord des Schiffes.
In jedem Fall würde ihre Hilfe für ihn zu spät kommen.
Mit schleppenden Schritten verließ Nemo das Zimmer. Er wandte sich nach links, zum Hafen hin, blieb dann aber plötzlich wieder stehen und starrte eine Weile ins Leere. Vielleicht hatte es keinen Sinn mehr, Widerstand zu leisten. Vielleicht...
Lange, sehr lange überlegte Nemo, dann wandte er sich in die entgegengesetzte Richtung, griff nach einer Lampe und machte sich auf den Weg zum Stollen. Er gab nicht auf; es war kein Kapitulieren vor jener unbekannten Macht, die ihre Klauen nach Vulkano ausgestreckt hatte, aber er würde diesen Weg früher oder später ohnehin gehen müssen, und wenn ihm schon keine andere Wahl blieb, würde er es zumindest bei vollem Bewußtsein tun. So blieb ihm wenigstens noch die Hoffnung, sich zur Wehr setzen zu können. Wenn er auch nicht wußte, wie.
Oder wogegen.
Einige Minuten lang betrachtete er das Tor. Ein paarmal glaubte er, vage schemenhafte Bewegungen dahinter wahrzunehmen, aber sie waren zu unbestimmt, um genaueres zu erkennen.
Nemo nahm den Shoggotenstern aus der Tasche. Entschlossen trat er durch die Wand aus wabernder Schwärze.
* * *
Mit einem Ächzen ließ van der Croft sich in einen Sessel fallen. Er umklammerte die Lehnen so fest, daß die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten, und das Holz zu knirschen begann. Instinktiv glitt meine Hand zum Griff des Stockdegens. Mein Bedarf an Überraschungen war für diesen Tag eigentlich schon mehr als gedeckt.
»Was ist
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