Der Hexer - NR47 - Stadt der bösen Träume
fast. Es schien mir das Rückgrat zu spalten. Für Sekunden bestand mein Körper nur noch aus brennendem, verzehrendem Schmerz.
Ich ahnte den schwarzen Schatten über mir mehr, als ich ihn sah. Verzweifelt schrie ich auf und warf mich abermals zur Seite.
Die dolchartigen Klauen verfehlten mein Gesicht nur um Zentimeter. Dicht neben meinem Kopf bohrten sie sich in den Boden, rissen Pflastersteine aus dem Erdreich und zermalmten sie. Ein Schuß klang auf, dem gleich darauf ein wuterfüllter, unmenschlicher Schrei folgte.
Eine zweite Gestalt war hinter der El-o-hym erschienen und prügelte mit den Fäusten auf sie ein. Es war ein groteskes Bild, wie der Unbekannte auf den entsetzlichen Dämon einschlug, aber auch wenn die Aktion nur von Verzweiflung diktiert war, bekam ich Gelegenheit, mich auf die Füße zu quälen und den Stockdegen zu packen.
Mit einem einzigen Schlag ihrer Schwingen befreite sich Shadow – oder das Wesen, zu dem die El-o-hym geworden, war – von ihrem Gegner. Wie ein lästiges Insekt schleuderte sie ihn von sich und wandte sich wieder mir zu.
Ich zögerte fast einen Augenblick zu lange. Das Wesen vor mir war immer noch Shadow, trotz der Teufelsfratze und der gebogenen Hörner, die aus ihrer Stirn wuchsen. Aber wenn ein Engel nicht sterben konnte, wie sie gerade bewiesen hatte...
Ich überlegte nicht länger. Mit aller Kraft stieß ich den Stockdegen vor. Die Abwehrbewegung des Dämons kam zu spät. Die dünne Klinge bohrte sich in seine Brust.
Im gleichen Moment ging die Sonne vollends unter – und Shadow verschwand!
Der Himmel glühte auch jetzt noch ein wenig nach, und das Licht reichte gerade aus, mich meine Umgebung erkennen zu lassen. Es war eine andere, unbeschreibliche Art von Licht, das keine erkennbare Quelle hatte, sondern einfach da war. Dennoch gewöhnten meine Augen sich rasch daran.
Shadow war nicht geflohen oder durch den Stockdegen ums Leben gekommen – obwohl unsere Begegnung deutlich bewiesen hatte, daß Engel wirklich nicht sterben konnten.
Sie war einfach nicht mehr da. Der Platz, an dem sie noch vor einer Sekunde gestanden hatte, war leer, als hätte es die El-o-hym nie gegeben.
Verwirrt schaute ich mich um. Den Degen hielt ich immer noch krampfhaft in der Hand, doch Shadow blieb verschwunden.
Ein unterdrücktes Stöhnen drang an meine Ohren. Rasch eilte ich zu dem Unbekannten, der mir zu Hilfe gekommen war, und der nun einige Schritte entfernt in verkrümmter Haltung auf dem Boden lag. Erst als ich mich zu ihm herabbeugte, erkannte ich ihn.
Es war Nemo.
Stöhnend preßte er die Hände gegen den Kopf und wälzte sich hin und her. Der Hieb hatte die Haut an seiner Stirn aufplatzen lassen. Vorsichtig tupfte ich das Blut mit meinem Taschentuch ab. Die Verletzung sah schlimmer aus, als sie war.
»Robert«, murmelte er und versuchte sich aufzurichten. Ich mußte ihn stützen. Taumelnd kam er auf die Beine. Mir fiel auf, daß er sich nicht einmal nach der El-o-hym umschaute, als wäre ihr Verschwinden die natürlichste Sache der Welt. Für mich war sie es keineswegs.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte ich unsicher. »Wo ist Shadow geblieben?«
»Shadow? Du meinst dieses Monstrum?« Nemo machte eine vage Handbewegung. »Meine Güte, brummt mir der Kopf. Für eine Traumgestalt war der Hieb nicht von schlechten Eltern.«
»Traumgestalt?« Ich packte ihn an den Schultern und lockerte den Griff erst, als er schmerzvoll das Gesicht verzog. »Zum Teufel, ich will endlich wissen, was hier vorgeht.«
Er streifte meine Hände ab. »Wenn du mich endlich ausreden ließest, könnte ich dir auch alles erklären. Du weißt was mit Howard passiert ist?«
»Ich habe nur gesehen, daß der Shoggote ihn ebenfalls unter seinen Willen gezwungen hat.«
»Das meine ich. Mir ist es nicht anders ergangen. Es ist ein Diener der GROSSEN ALTEN und versucht, einen von ihnen wieder zum Leben zu erwecken.«
»Es?«
»Dieses Tentakelmonster. Es hat keinen Namen. Sein Ziel ist es, seinen Meister zu beschwören. Da es allein zu schwach ist, hat es meine Leute zu sich gerufen. Mich hat es nicht ganz unter seinen Willen zwingen können. Als es verschwand, um euch zu überwältigen, konnte ich den Bann brechen und fliehen. Aber während der Zeit meiner Beeinflussung habe ich eine Menge über Kadath erfahren.«
Kadath. Der Begriff hallte hinter meiner Stirn wider. Es war nicht das erste Mal, daß ich ihn vernahm, doch ich wußte ihn nicht sofort einzuordnen.
Nemo bemerkte mein Stirnrunzeln.
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