Der Himmel kann noch warten
doch gar nicht an den Himmel.«
»Wirklich nicht?«
»Nein.«
»Aber an den Himmel auf Erden«, sagt Papa.
»Ach«, sage ich, »das schon.«
»Ja«, sagt Papa, »das schon.«
Wir sind wieder still. Papa hat wirklich Glück.
Der Kaffee ist da. Mama reißt ein Zuckertütchen auf und kippt den Inhalt in einen Becher.
»Für wen machst du das?«, fragt Papa.
»Für dich«, sagt Mama.
»Robert trinkt seinen Kaffee nicht mehr mit Zucker«, sagt Renate.
»Ach«, sagt Mama. »Dann nicht.« Sie gibt Papa einen Becher ohne Zucker.
»Ach was«, sagt Papa. »Gib mir doch den anderen.«
»Was?«, sagt Renate.
Es ist nicht zu glauben. Drei Erwachsene sitzen da an meinem Bett und streiten sich um einen Becher Kaffee. Mama sagt, sie würde genauso gern den mit Zucker trinken. Papa sagt, er würde ihn schon nehmen. Renate sagt, Papa müsse an sein Cholesterin denken. Papa sagt, er wäre alt und weise genug, um für sich selbst zu entscheiden. Mama sagt, dass sie einen neuen Kaffee holt. Papa sagt, dass das nicht nötig ist. Renate sagt, Papa solle vernünftig sein. Mama sagt, dass sie schon keinen Kaffee mehr mag.
»HÖRT AUF!«
Das sage ich. Sie sind alle drei still. Ich habe noch nie ein Ausrufezeichen so gut eingesetzt wie jetzt. Es funktioniert perfekt. Das ganze Geplapper. Krank macht einen das.
»Geht es, Liebes?«, fragt Mama.
Ich nicke. Aber als mein Kinn an meiner Brust ist, fühle ich, was passieren wird. Es steckt mir schon im Hals.
»Niere!«
Mama ist gerade noch rechtzeitig. Meine Tränen mischen sich mit dem, was ich ausspucke. Ich hatte mich schon gefragt, wann sie kommen würden. Es sind meine allerersten an diesem Tag. »Einen Tag nicht geweint, heißt, einen Tag nicht gelebt«, würde Opa sagen. Aber er sagt es nicht, denn er ist nicht da. Nur die drei dummen Streitbolde sind da. Ich nehme den Becher mit dem gezuckerten Kaffee und leere ihn über meiner schmutzigen Niere aus.
Mama lacht.
Renate lacht.
Papa lacht.
So. Das ist besser. Und jetzt benehmen wir uns wieder hübsch normal. Auch wenn es nicht hübsch ist und wir uns gegenseitig blöd finden.
Ein Wunder ist geschehen. Mama benimmt sich ziemlich normal für ihre Verhältnisse und Renate benimmt sich so lieb wie eigentlich schon immer. Und Papa redet nichtausschließlich von sich selbst, sondern auch über interessante und witzige Dinge. Wirklich schön ist es nicht. Aber das wäre vielleicht auch ein bisschen zu viel des Guten.
»Ich habe irgendwo gelesen …«, sagt Papa.
»Ja, ja«, sagt Renate. »Der Herr hat wieder was gelesen.« Sie verrät, dass Papa, wenn er so etwas sagt, es entweder aus dem Radio oder aus dem Fernsehen hat. Aber keinesfalls irgendwo gelesen.
»Stimmt das?«, fragt Mama.
Papa sagt, das Phänomen Buch würde ziemlich überschätzt und für das Fernsehen gelte genau das Gegenteil.
»Hätte Homer damals einen Fernseher gehabt«, sagt er, »müsste der Grundstein für die Weltliteratur heute noch gelegt werden.«
»Ach«, sagt Mama.
Papa erläutert, der Mann wäre zweifellos fernsehsüchtig geworden. »Er hätte den ganzen Tag vor dem Fernseher gesessen und dadurch nicht einen Buchstaben mehr zu Papier gebracht.«
Ich träume ein bisschen weg. Richtung Toskana. Zuerst stehe ich am Flughafen. Dann sitze ich im Flugzeug (am Fenster). Dann steige ich in Italien aus und am Schluss sitze ich in einem gewaltig großen Schlossgarten. Opa und Oma wollen ins Dorf, einkaufen. Opa fragt mich, ob ich mitkomme.
»Zu Fuß?«, frage ich.
Opa nickt, und ich sage, dass ich mitwill, aber dass ich noch nicht so schnell wie früher laufen kann.
»Macht nichts«, sagt Oma. »Meine Hüfte ist auch noch nicht ganz die alte.«
Ich bitte Opa und Oma, eine Minute zu warten. Dann gehe ich und hole meine Schuhe. Die liegen noch im Schlösschen. Ich schaue mich um. Wo sind die Dinger?
»Wir gehen.«
»Jetzt wartet doch!«
»Belle, wir müssen wirklich los.«
Ich bin wieder zurück im Krankenhaus. Papa und Renate gucken ein bisschen unbehaglich. Sie sagen, dass sie, wenn sie jetzt nicht gehen, bestimmt das Flugzeug verpassen. Dass so ein Ding nicht wartet.
Ich will, dass dieses Mistflugzeug ohne sie losfliegt. Na gut, Renate darf weg. Aber Papa muss hierbleiben. Ich werde doch erst morgen operiert. Papa muss warten, bis die Operation geglückt ist. Eigentlich sogar so lange, bis ich wieder gesund bin. Dann kann er mich auch gleich in den Himmel auf Erden mitnehmen. Aber das wage ich nicht zu sagen. Und es hat natürlich auch
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