Der Hintermann
verblüffende Ähnlichkeit mit dem begabten jungen Mann hatte, den er im Herbst des Schreckensjahres 1972 aus der Kunst- und Designakademie Bezalel in Jerusalem entführt hatte. Nur Gabriels Haar hatte sich verändert. Damals war es so schwarz wie Nadias gewesen. Jetzt war es an den Schläfen grau meliert – Aschespuren am Fürsten des Feuers.
Gabriel stand vor der Staffelei, umfasste mit einer Hand sein Kinn und hielt den Kopf leicht zur Seite geneigt. Nadia leuchtete im grellweißen Licht der starken Halogenlampen. Das Porträt zeigte eine unverschleierte Frau. Es war das Porträt einer Märtyrerin. Das Porträt einer Spionin.
Schamron beobachtete Gabriel mehrere Minuten lang schweigend. Schließlich fragte er: »Ist es fertig, mein Sohn?«
»Ja, Abba«, antwortete Gabriel nach kurzer Pause. »Ich denke, es ist fertig.«
Die Spediteure kamen am nächsten Morgen. Als Gabriel von seiner Wanderung über die Klippen zurückkam, war Schamron fort. So sei es besser, erklärte er Chiara, bevor er das Haus verließ. Das Letzte, was Gabriel jetzt brauchen könne, sei eine weitere emotionale Szene.
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N EW Y ORK C ITY
Es war Sarah Bancrofts Idee, die Eröffnungsgala für den Nadia-al-Bakari-Flügel am Jahrestag des 11.Septembers 2001 stattfinden zu lassen. Der Leiter der New Yorker Task Force gegen Terrorismus gab zu bedenken, angesichts der Unruhen im Nahen Osten sei es vielleicht klüger, ein weniger symbolisches Datum zu wählen, aber Sarah beharrte auf ihrer Entscheidung. Die Gala würde am Abend des 11. Septembers stattfinden. Und falls die Task Force sich außerstande sah, für ihre Sicherheit zu garantieren, kannte Sarah Leute, die das sehr wohl leisten konnten.
Die Demonstranten kamen früh zu der Party und blockierten die West Fifty-third Street zu Tausenden. Die meisten von ihnen waren Feministinnen und Menschenrechtsaktivisten, die Nadias Forderung nach umwälzenden Veränderungen im Nahen Osten unterstützten, aber aus Brooklyn und New Jersey waren auch ein paar wild dreinschauende Dschihadisten gekommen, die Nadia als Ketzerin anprangerten. Niemand schien Gabriel und Chiara zu beachten, als sie aus einem Escalade stiegen und im Museum verschwanden. Ein Wachmann begleitete sie in den Verwaltungstrakt hinauf, wo sie Sarah trafen, die gerade mit dem Reißverschluss ihres Abendkleids kämpfte. Überall lagen große Stapel der offiziellen MoMA-Monografie über die Nadia al-Bakari Collection. Das von Gabriel gemalte Porträt schmückte die Vorderseite des Umschlags.
»Du hast uns schwer unter Termindruck gesetzt«, sagte Sarah, als sie ihn auf die Wange küsste. »Beinahe hätten wir einen Ersatzumschlag nehmen müssen.«
»Die abschließenden Details sind mir schwergefallen.« Gabriel sah sich in dem großen Büro um. »Nicht schlecht für eine ehemalige Kuratorin der Phillips Collection. Hoffentlich erfahren deine Kollegen nie von dem kleinen Forschungsurlaub, den du nach deinem Ausscheiden bei Isherwood Fine Arts in London gemacht hast.«
»Sie glauben, dass ich mich einige Jahre lang privat in Europa fortgebildet habe. Diese Lücke in meiner Biografie scheint meinen Reiz nur gesteigert zu haben.«
»Irgendetwas sagt mir, dass auch dein Liebesleben sich zum Besseren wenden wird.« Er begutachtete ihr Kleid. »Vor allem nach diesem Abend.«
»Das Kleid ist von Givenchy. Es war sündhaft teuer.«
»Es ist schön«, sagte Chiara, die Sarah mit dem Reißverschluss half, »und du bist’s auch.«
»Komisch, wie anders die Welt aussieht, wenn man nicht in einem dunklen Raum in Langley sitzt und die Bewegungen von Terroristen verfolgt.«
»Vergiss nur nicht, dass sie dort draußen sind«, sagte Gabriel. »Oder dass einige von ihnen deinen Namen kennen.«
»Ich vermute mal, dass ich die am besten bewachte Museumskuratorin der Welt bin.«
»Wer ist dafür zuständig?«
»Weiterhin die Agency«, sagte Sarah, »mit Unterstützung der Task Force. Bei der bin ich im Augenblick nicht sonderlich gut angeschrieben, fürchte ich. Bei Adrian übrigens auch nicht. Er versucht, irgendeine Möglichkeit zu finden, mich auf seiner Gehaltsliste zu behalten.«
»Wie geht es ihm?«
»Viel besser, seit James McKenna das Weiße Haus verlassen hat.«
»Ist er weich gelandet?«
»Die Gerüchteküche will wissen, dass er Leiter des Friedensinstituts wird.«
»Bestimmt der ideale Job für ihn.« Gabriel griff nach einer Monografie und begutachtete den Umschlag.
»Möchtest du die Sammlung sehen, bevor die Gäste
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