Der Hintermann
würden.«
»Taugen sie etwas?«
»Die Informationen? Da werden Sie mir einfach vertrauen müssen, fürchte ich.«
»Tut mir leid, aber dieses Wort kenne ich nicht.«
»Haben Sie denn gar nichts von ihr gelernt?« Chalid nickte zu dem Geländewagen hinüber. »An Ihrer Stelle würde ich schleunigst einsteigen. Sinneswandel sind bei Seiner Hoheit leider nicht selten.«
Gabriel schüttelte dem Saudi die Hand, dann überließ er sich den Amerikanern. Sie fuhren ihn in hohem Tempo zu einem Luftwaffenstützpunkt nördlich von Riad und brachten ihn eilig an Bord einer wartenden Gulfstream. Während des Fluges pumpte der mitfliegende Arzt der Agency Gabriels ausgezehrten Körper mit allen möglichen Flüssigkeiten voll und versorgte seine schlecht behandelte Schussverletzung. Dann ließ er Gabriel endlich schlafen. Er wurde von Albträumen über Nadias Tod gequält und schrak hoch, als die Maschine auf dem London City Airport aufsetzte. Als die Kabinentür sich öffnete, sah er Chiara und Schamron auf dem Vorfeld warten. Er vermutete, sie seien die beiden einzigen Menschen auf der Welt, die schlechter aussahen als er selbst.
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L IZARD -H ALBINSEL , C ORNWALL
Schamron richtete sich im Gästezimmer häuslich ein. Er erweckte den Eindruck, als wolle er auf Dauer bleiben. Der Albtraum im Leeren Viertel, erklärte er Chiara, habe ihm eine letzte Aufgabe beschert.
Der Alte ernannte sich zu Gabriels persönlichem Leibwächter, Arzt und Trauerberater. Er erteilte unaufgefordert Ratschläge und ertrug die Depressionen und Stimmungsschwankungen seines Patienten in stoischem Schweigen. Und er ließ Gabriel praktisch nicht aus den Augen. Er folgte ihm durch das Cottage, begleitete ihn auf Strandspaziergängen und kam sogar mit, wenn Gabriel zum Einkaufen ins Dorf ging. Den Ladenbesitzern erzählte Gabriel, Schamron sei sein Onkel aus Mailand. In der Öffentlichkeit sprach er nur Italienisch mit ihm, wovon Schamron kein Wort verstand.
Binnen Tagen nach Gabriels Rückkehr nach Cornwall wurde das Wetter regnerisch, was zur Stimmung aller passte. Chiara kochte üppige Mahlzeiten und beobachtete erleichtert, wie Gabriel etwas von dem Gewicht zurückgewann, das er in saudischer Haft verloren hatte. Sein emotionaler Zustand blieb jedoch unverändert. Er schlief wenig und schien außerstande zu sein, über die Ereignisse in der Wüste zu reden. Uzi Navot schickte einen Psychiater, um ihn untersuchen zu lassen. »Schuldgefühle«, sagte der Arzt, nachdem er eine Stunde allein mit Gabriel gesprochen hatte. »Schwere, tiefe, unaufhörliche Schuldgefühle. Er hat versprochen, sie zu beschützen, aber zuletzt hat er sie doch im Stich gelassen. Er mag Frauen nicht enttäuschen.«
»Was können wir tun?«, fragte Chiara.
»Geben Sie ihm Zeit und Spielraum«, sagte der Arzt. »Und verlangen Sie vorerst nicht zu viel von ihm.«
»Ich weiß nicht recht, ob Aris Nähe gut für ihn ist.«
»Dann viel Glück bei dem Versuch, ihn zu vertreiben«, sagte der Arzt. »Gabriel wird irgendwann wieder gesund, bei dem Alten ist das weniger wahrscheinlich. Lassen Sie ihn hier, so lange er will. Er wird wissen, wenn es Zeit ist zu gehen.«
Für Gabriel gab es keinen geregelten Tagesablauf. Weil er nachts keinen Schlaf fand, schlief er tagsüber, wenn sein Gewissen es erlaubte. Er war sichtlich bedrückt, er starrte in den Regen und aufs Meer hinaus, er machte Spaziergänge in der Bucht. Manchmal saß er auf der Veranda und zeichnete mit Kohlestift auf Papier. Alle diese Skizzen betrafen ihr letztes Unternehmen. Viele stellten Nadia dar. Chiara, die sich deswegen Sorgen machte, fotografierte die Skizzen heimlich und mailte die Bilder dem Psychiater, um sie von ihm begutachten zu lassen. »Er ist sein eigener bester Therapeut«, schrieb ihr der Arzt beruhigend zurück. »Lassen Sie ihm Zeit, allein damit klarzukommen.«
Nadia al-Bakari war ständig unter ihnen. Sie versuchten gar nicht erst, sie auszusperren. Selbst wenn sie’s versucht hätten, die Ereignisse in der arabischen Welt hätten diese Bemühungen zerstört. Von Marokko bis zu den Emiraten flammten neue Unruhen auf. Diesmal schienen selbst die alten sunnitischen Monarchien verwundbar zu sein. Durch Nadias brutale Ermordung aufgestachelt gingen Zehntausende von arabischen Frauen auf die Straßen. Nadia war ihre Märtyrerin und Schutzheilige. Sie skandierten ihren Namen und hielten Tafeln mit ihrem Foto hoch. Und in krasser Verkennung von Nadias Zielen und Überzeugungen sagten manche von
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