Der Hintermann
ihnen, auch sie wollten als Märtyrerinnen sterben.
Die Bewahrer der alten Ordnung versuchten, Nadia al-Bakari als israelische Spionin und Provokateurin zu diffamieren. Aber wegen Gabriels Geständnis, das im Internet und im panarabischen Fernsehen ständig wiederholt wurde, fanden diese Vorwürfe gegen Nadia wenig Glauben. Noch mehr zu einer Kultfigur wurde sie, als Zoe Reed von CNBC eine ganze Ausgabe ihrer zur besten Zeit ausgestrahlten Sendung dem postumen Einfluss Nadias auf den Arabischen Frühling widmete. In dieser Sendung schilderte Zoe erstmals mehrere private Treffen mit der saudischen Milliardärin, bei denen Nadia zugegeben hatte, reformwillige Organisationen in der arabischen und islamischen Welt heimlich mit vielen Millionen Dollar unterstützt zu haben. Außerdem klagte die Sendung die saudi-arabischen Geheimdienste an, mit Nadia al-Bakaris Mördern gemeinsame Sache gemacht zu haben – eine Beschuldigung, auf die das Haus Saud mit einem sofortigen Dementi und der üblichen Drohung reagierte, dem Westen den Ölhahn zuzudrehen. Aber sie wurden diesmal von keinem sonderlich ernst genommen. Wie alle Regime der arabischen Welt kämpfte das Königshaus nur mehr ums bloße Überleben.
Inzwischen war es Juni, und die Amerikaner forderten immer energischer eine Aufarbeitung des Unternehmens. Chiara legte streng begrenzte Zeiten für Gabriels Befragung fest: zwei Stunden vormittags, zwei Stunden am Spätnachmittag, insgesamt drei Tage. Die angeblichen amerikanischen Touristen wohnten in einer grässlichen kleinen Frühstückspension in Helston, die Gabriel selbst ausgesucht hatte. Die Besprechungen fanden an seinem Esstisch statt. Schamron saß dabei neben Gabriel wie ein Rechtsanwalt während einer Aussage seines Mandanten. Er setzte auch durch, dass kein Tonbandgerät mitlief.
Chiara hatte befürchtet, die Befragung werde Wunden aufreißen, die eben erst zu heilen begannen. Stattdessen erwies sie sich als genau die Art Therapie, die Gabriel so dringend brauchte. Alles wurde ganz sachlich abgewickelt. Die Amerikaner stellten ihre Fragen trocken wie Polizisten, die wegen eines Blechschadens ermitteln, und Gabriel antwortete auf gleiche Weise. Erst als die Befrager ihn aufforderten, Nadia al-Bakaris Tod zu schildern, brach ihm die Stimme. Als Schamron darum bat, das Thema zu wechseln, legte einer der Amerikaner Gabriel das Foto eines jungen Saudi-Arabers hin, der vor nicht allzu langer Zeit ein Wiedereingliederungsprogramm für Terroristen absolviert hatte.
»Erkennen Sie ihn wieder?«
»Ja«, sagte Gabriel. »Er ist der Mann, der Malik und die anderen erschossen hat.«
»Er heißt Ali al-Masri«, sagte ein anderer Amerikaner.
»Wo ist er jetzt?«
»Er lebt unauffällig in Dschidda. Hat sich offenbar von Scheich bin Taijib losgesagt und die dschihadistische Bewegung endgültig verlassen. Seine Frau hat gerade ein kleines Mädchen zur Welt gebracht.«
»Hanan«, sagte Gabriel. »Die Kleine heißt Hanan.«
Damit war die letzte Sitzung beendet. An diesem Abend hob Chiara ihr Fernsehverbot beim Abendessen auf, damit sie zusehen konnten, wie die arabische Welt aus den Fugen geriet. Die Regime in Syrien und Jordanien wankten, und es gab Berichte, die saudi-arabische Nationalgarde habe in Riad und Dschidda auf Demonstranten geschossen, wobei es Dutzende von Toten gegeben habe. Für diese Unruhen machte Prinz Nabil, der mächtige saudische Innenminister, das schiitische Regime im Iran und Gefolgsleute von Nadia al-Bakari verantwortlich. Seine Äußerungen hatten die unbeabsichtigte Wirkung, Nadias Ansehen bei den Demonstranten auf neue Höhen zu heben.
Am folgenden Morgen wurde Nadia al-Bakari postum zu einer Heldin der Kunstwelt, als das Museum of Modern Art in New York bekannt gab, es habe ihre bedeutende Kunstsammlung als Stiftung erhalten. Als Gegenleistung für die Sammlung, deren Wert auf mindestens fünf Milliarden Dollar geschätzt wurde, hatte das MoMA Nadias Nachlassverwaltern zugestanden, die erste Kuratorin bestimmen zu dürfen. Als diese das Podium betrat, um sich erstmals den Fragen der New Yorker Presse zu stellen, atmete die Kunstwelt hörbar erleichtert auf. Auch wenn nicht viel über Sarah Bancroft bekannt war, war sie doch wenigstens vom Fach.
Am Tag darauf rief sie Chiara an. Sie hatte von Adrian Carter gehört, Gabriels Genesung mache nur zögernd Fortschritte, und wollte daher etwas vorschlagen, das vielleicht nützlich sein konnte. Eine Auftragsarbeit. Chiara nahm den Auftrag an, ohne
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