Der Hintermann
kommen?«
Er sah zu Chiara hinüber. »Geh nur«, sagte sie. »Ich warte hier.«
Sarah ging mit ihm nach unten zum Eingang des Nadia-al-Bakari-Flügels. Das Personal des Caterers arrangierte Tabletts mit Kanapees und fing schon an, Champagnerflaschen zu öffnen. Gabriel ging zu Nadias Porträt hinüber und las die biografischen Angaben auf der daneben angebrachten Plakette. Die Umstände ihres Todes waren bewusst schwammig formuliert. Ihr Vater wurde nur nebenbei erwähnt.
»Es ist noch nicht zu spät«, sagte Sarah.
»Wofür?«
»Das Porträt zu signieren.«
»Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht.«
»Und?«
»Ich bin noch nicht bereit, ein normaler Mensch zu sein. Noch nicht.«
»Ich vermutlich auch nicht. Aber irgendwann …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende. »Komm«, sagte sie und führte ihn durch einen Bogen. »Alles andere muss man gesehen haben, um es zu glauben. Für einen Terroristen hatte unser alter Freund Zizi bemerkenswert viel Geschmack.«
Sie gingen allein durch Säle voller Gemälde – Sarah in ihrem Abendkleid, Gabriel in seinem Smoking. Bei anderer Gelegenheit hätte dies ein Rollenspiel in einem von Gabriels Unternehmen sein können. Nicht jedoch heute. Mit Nadias Hilfe hatte er Sarah – zumindest vorläufig – in die Welt zurückgebracht, aus der er sie geholt hatte.
»Das sind längst nicht alle«, sagte sie und deutete auf eine Wand mit Gemälden von Monet, Renoir, Degas und Sisley. »Wir besitzen noch viel mehr. Wir können jedoch nur ungefähr ein Viertel der Bilder zeigen, die Nadia uns geschenkt hat. Wir führen schon Verhandlungen, um Teile der Sammlung an Museen in aller Welt auszuleihen. Ich glaube, dass Nadia das gefallen hätte.«
Sie betraten einen kleineren Saal mit Gemälden von Egon Schiele. Sarah ging auf das Porträt eines jungen Mannes zu, der vage Ähnlichkeit mit Michail hatte. »Ich hatte dich gebeten, nicht mit ihm über mich zu reden«, sagte sie über die Schulter hinweg zu Gabriel. »Das hättest du wirklich nicht tun sollen.«
»Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Du bist einer der besten Lügner, die ich kenne, aber Menschen, die du magst, hast du noch nie belügen können. Vor allem Frauen nicht.«
»Warum hast du ihn heute Abend nicht eingeladen?«
»Und wie sollte ich ihn vorstellen?«, fragte Sarah. »Ich möchte Sie mit meinem Freund Michail Abramow bekannt machen. Michail ist Berufskiller im israelischen Geheimdienst. Er hat mitgeholfen, den Mann zu ermorden, der den Grundstock zu dieser Sammlung gelegt hat. Wir haben bei mehreren Unternehmen zusammengearbeitet. Für mich war das eine sehr interessante Zeit.« Sie sah nochmals zu Gabriel hinüber. »Siehst du, was ich meine?«
»Solche Probleme lassen sich lösen, Sarah, aber nur, wenn man willens ist, sich die Mühe zu machen.«
»Das bin ich weiterhin.«
»Weiß er das?«
»Er weiß es.« Sie wandte sich von dem Gemälde ab und berührte Gabriels Wange. »Wieso habe ich dieses schreckliche Gefühl, dass ich dich nie wiedersehen werde?«
»Schick mir ab und zu ein Gemälde zum Reinigen.«
»Ich kann mir dich nicht leisten.«
Sarah warf einen Blick auf ihre Uhr – die Armbanduhr, die Nadia getragen hatte, als sie entführt worden war. Sie ging noch immer drei Minuten vor.
»Ich muss meine Rede noch mal durchgehen, bevor die Gäste kommen«, sagte sie. »Möchtest du heute Abend auch ein paar Worte sprechen?«
»Lieber gehe ich in meine Zelle in Riad zurück.«
»Ich weiß noch immer nicht genau, was ich über sie sagen werde.«
»Sag die Wahrheit«, empfahl Gabriel ihr. »Nur nicht die ganze.«
Punkt neunzehn Uhr strömte die Kunstwelt in all ihrer Verrücktheit und Überdrehtheit in den Nadia-al-Bakari-Flügel des Museums of Modern Art. Gabriel und Chiara blieben nur wenige Minuten auf dem Cocktailempfang, bevor sie sich auf die Empore über dem Atrium zurückzogen, um sich von dort aus die Reden anzuhören. Sarah sprach als Letzte. Irgendwie gelang ihr genau die Gratwanderung auf der schmalen Linie zwischen den Tatsachen und einer erfundenen Geschichte. Ihre Rede war teils Laudatio, teils Aufruf, Nadias Kampf fortzusetzen. Sie habe der Welt mehr als nur ihre Gemäldesammlung geschenkt, sagte Sarah. Sie habe ihr Leben geopfert. Ihr Leichnam ruhe im Nedschd in einem namenlosen Grab, aber diese Ausstellung werde ihr Grabmal sein. Während die Kunstwelt diesen Gedanken bejubelte, vibrierte Gabriels Blackberry in der Innentasche seines
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