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Der Hirte (German Edition)

Der Hirte (German Edition)

Titel: Der Hirte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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spürte ihre zarte Gestalt in seinen Armen verschwinden und fühlte sich müde, leer und hoffnungslos.
„Rainald“, sagte Schwester Venia. Rainald erkannte in ihrer Stimme den gleichen merkwürdigen Unterton. Endlich blickte er auf.
Johannes und die Klosterschwester standen nebeneinander an der Hausecke. Sie hatten ihm die Rücken zugewandt und sahen zum Waldrand oben am Hang hinauf. Rainald folgte ihren Blicken.
Die Baumstümpfe waren zum Leben erwacht.
Dann erkannte er, dass die Schatten vielmehr zwischen den Baumstämmen kauerten, die Schatten mit dem graubraunen Fell und den gelben Augen. Ihr Anführer stand auf einem der abgesägten Stümpfe wie ein Jagdhund, der vor dem Versteck der Beute verhält, schwarz und zottelig, breiter und größer als sein Rudel. Rainald hatte das Gefühl, dass seine Blicke zu der finsteren Gestalt hingezogen wurden, bis die funkelnden Augen, die heraushängende Zunge und die gebleckten Zähne direkt vor seinem Gesicht zu schweben schienen. Rainald hatte nur ein einziges Mal so viel Hass im Antlitz eines Lebewesens gesehen: in seinem eigenen, das sich in einem Metallteil gespiegelt hatte, als er zwischen den Trümmern in seinem Saal auf den Körper Sophias gestoßen war.
Die Lefzen des Leitwolfs, der einmal ein Schäferhund gewesen war, zogen sich noch weiter von den Fängen zurück.
Er bellte.
Drei Schatten glitten zwischen den Baumstämmen hervor und waren den halben Hang herunter, bevor Rainald auch nur auf die Beine gekommen war.

***

„In die Hütte, in die Hütte!“, brüllte Rainald. Blanka flog in Johannes’ Arme und hätte den Jungen umgerissen, wenn Rainald ihn nicht mit der freien Hand gepackt hätte. Er schob beide so heftig in Richtung der geöffneten Tür, dass sie über die Schwelle stolperten und im Dunkel hinter der Türöffnung verschwanden. Rainald hörte sie übereinanderpoltern und Blankas Schreckensschrei. „Bleib bei ihr!“, schrie er und wandte sich um. „Verriegel die Tür, sobald Schwester …“
Er stockte, weil er sah, dass die Klosterschwester sich den Wölfen entgegenwarf. Die Tiere duckten sich beim Rennen so flach in den Schnee, dass es aussah, als seien ihre grauen Körper aus flüssigem Metall. Schwester Venia schwang einen Prügel Feuerholz, mit dem sie nicht einmal eine Maus hätte totschlagen können, wenn er leicht genug war, dass sie ihn schwingen konnte.
„Gottverdammt!“, keuchte Rainald.
„Papa!“
„Mach die Tür zu!“
Er riss sein Schwert aus der Scheide und dachte daran, dass er es an diesem Weihnachtstag öfter gezückt hatte als in den letzten acht Wochen. Die Pelze behinderten ihn beim Laufen – er schüttelte sie ab. Seine Beine ächzten, doch er zwang sie dazu, ihn hinter Schwester Venia her zu tragen. Die Wölfe waren nur noch ein paar Längen von ihr entfernt. Sie stockte nicht ein einziges Mal und schien fast über den Schnee zu laufen. Rainald würde sie niemals rechtzeitig erreichen. Er wusste, dass er sich auf die anderen Tiere und besonders auf den Anführer hätte konzentrieren sollen, aber die drei herabgleitenden Schatten hielten seine Blicke fest. Schwester Venia hob den Prügel über ihren Kopf.
Rainald scherte aus seiner bisherigen Laufrichtung aus und rannte quer zum Hang.
„Hierher!“, brüllte er und wirbelte das Schwert über den Kopf. „Versucht’s bei mir, ihr Mistkerle!“
Die Wölfe warfen sich herum und nahmen seine Verfolgung auf, schwenkten vor Schwester Venia ab und schossen den Hang herunter, auf ihn zu. Zu seiner Verblüffung, dass es funktioniert hatte, kam der Schreck, dass sie es nun tatsächlich auf ihn abgesehen hatten – und die Erkenntnis, dass die drei Wölfe nicht mit dem halbverhungerten Einzelgänger im Wald zu vergleichen waren. Er traute sich zu, mit zweien von ihnen fertig zu werden … doch der dritte würde ihm die Kehle durchbeißen. Sein Atem flog. Er rannte mit großen Sprüngen den Hang wieder hinab. Wenn er soviel Vorsprung gewann, dass ihre Gruppe auseinandergezogen wurde …! Aus dem Augenwinkel erkannte er Schwester Venia, die versuchte, zu ihm zu gelangen, doch sie war zu weit entfernt. Sein Trick hatte funktioniert; zu gut funktioniert.
„Verdammt …“, keuchte er und blieb stehen, um zu kämpfen.
„Hierher!“, schrie eine neue Stimme. Die Wölfe wandten die Köpfe, ohne im Laufen innezuhalten. Rainald fuhr herum. „Kommt schon, ihr Schoßhündchen!“
Johannes rannte auf einer Geraden, die ihn mit Schwester Venia zusammenführen würde. Suchte er instinktiv

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