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Der Hirte (German Edition)

Der Hirte (German Edition)

Titel: Der Hirte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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heruntersausen. Es grub im Fallen eine Furche in den Schnee, die sich in seiner Spur rot färbte.
Rainald hastete zu Johannes und Schwester Venia hinüber. Sein Herz wollte zerspringen, er erstickte fast vor Atemnot. Johannes lag regungslos. Schwester Venia saß im Schnee, als hätte alle Kraft sie verlassen. Rainald fiel vor seinem Sohn auf die Knie und riss ihn in die Höhe. Johannes schrie auf.
„Ist dir was passiert, ist dir was …?“
Rainald sah den zerfetzen Ärmel, wo sich die Zähne des Wolfs in den Arm gegraben hatten. Es war kaum Blut zu sehen, Mantelärmel, Jacke und Steppgewand hatten das Schlimmste abgehalten, und Johannes’ Herumgefuchtel hatten die Kiefer des Wolfs abrutschen lassen. Rainalds Herz schlug Trommelwirbel. Er tastete seinen Sohn mit fliegenden Händen ab. Johannes begann zu weinen. Er zerrte ihn hoch.
„Schnell, schnell, in die Hütte, bevor die anderen …“ Er fuhr herum und streckte die andere Hand aus. „Schwester, schnell, bei allen Heiligen, kommt schon, bevor die anderen Biester … was für eine gottverfluchte Idee … seid Ihr denn von allen …“ Er verstummte. Schwester Venia starrte mit großen Augen zum Waldrand hinauf.
Die Wölfe waren verschwunden.

Die beiden Tiere, die Rainald erlegt hatte, wirkten im Tod kleiner und schmaler als im Leben. Das dritte Tier war ebenso verschwunden wie alle anderen. Rainald versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass erneut ein Schaudern über seinen Körper lief. Er drehte sich um, als er zögernde Schritte hörte. Johannes stand hinter ihm und wischte sich über das Gesicht. Sein Brustkorb hob und senkte sich krampfhaft, als er sich bemühte, nicht mehr zu weinen. Rainalds Blicke wanderten zu dem Schneematsch zwischen Johannes’ Füßen. Blutstropfen malten verblassende Rosenmuster hinein.
Johannes folgte den Blicken seines Vaters von dem in den Schnee tropfenden Blut an seinem Bein entlang in die Höhe bis zu dem klaffenden Riss an der Innenseite seines Oberschenkels. Wölfe hatten scharfe Zähne und an den Pfoten ebenso scharfe Krallen. Johannes sah Rainald in die Augen. Dann knickte das verletzte Bein ein, und der Junge fiel auf die Seite.

***

„Du hattest doch eine klare Anweisung!“, tobte Rainald. Er wickelte Stoffstreifen um den Riss in Johannes’ Oberschenkel. Der Junge biss sich auf die Lippen und stöhnte. Die Tränen, die seine Wangen herabrollten, kamen vom Schmerz, aber nicht von ihm allein. Rainald hörte sich selbst zu und fragte sich, warum er seiner Erleichterung, dass Johannes nicht schlimmer verletzt war, mit Fluchen und Geschrei Luft machte, anstatt ihn einfach zu umarmen. Der Junge war sein Sohn! Und er war tapfer gewesen, ohne Zweifel.
Er war dumm gewesen.
Er hatte sich und seine Schwester in Gefahr gebracht.
Er hatte eine Anweisung nicht befolgt.
Wieder einmal …
„Wie willst du jetzt weiterkommen mit dem Bein, he?“, schrie Rainald. „Glaubst du, ich kann dich auch noch tragen? Ich muss schon Blanka tragen! Und unsere Sachen!“
„Ich kann etwas tragen“, sagte Schwester Venia.
„Das hab ich gesehen“, schnappte Rainald. „Nehmt den Jungen nicht in Schutz, er hat verantwortungslos gehandelt!“
„Aber nicht wie ein Feigling!“, sagte Johannes mit heißen Wangen.
„Worüber soll ich mich mehr freuen? Über deine vergangene Feigheit oder deine gegenwärtige Dämlichkeit?“
Johannes keuchte und biss sich auf die Knöchel. Rainald betrachtete seine Hände und sah, dass er den Knoten des Verbands zu stramm zugezogen hatte. Er lockerte ihn wieder. Johannes hatte den Kopf gesenkt und weinte leise. Bevor er sich selbst aufhalten konnte, legte Rainald ihm eine Hand auf den Kopf und tätschelte sein Haar. Johannes schluchzte. Wie oft hatte er den Jungen so getröstet, nachdem Umarmungen und das Vergießen von Tränen an der Schulter des Vaters zu kleinkinderhaft für Johannes’ Selbstbewusstsein geworden waren? Aber das war eine Sache aus der Zeit vor jenem Augenblick, in dem Rainald in sein eigenes Spiegelbild geblickt und einen Mann gesehen hatte, der wusste, dass er nie mehr zu dem würde zurückkehren können, was vorher gewesen war, und der sich plötzlich wünschte, zerschmettern, zermalmen, zerstören zu können, um seinen eigenen Schmerz in dem der anderen zu ertränken. Irgendwo in ihm gab es etwas, das ihn bisher daran gehindert hatte, den Weg zu der Bestie in Menschengestalt, die ihn damals aus dem Spiegel heraus angestarrt hatte, zu Ende zu gehen; aber der Weg war da, und er stand mit

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