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Der Hirte (German Edition)

Der Hirte (German Edition)

Titel: Der Hirte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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beiden Beinen darauf und hatte schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt. War es der Teil von Sophia, der in seinem Herzen zurückgeblieben war, der ihn aufhielt? Sie fehlte ihm, sie fehlte ihm mehr, als er in Worte fassen konnte. Die trostspendende Berührung Johannes’ zerrte die unwiederbringlich vergangenen Zeiten so abrupt in seinem Bewusstsein empor, dass der Schmerz fast so schlimm war wie am ersten Tag. Er zuckte zurück und stand auf.
„Wir nehmen die Furt“, sagte er.
„Was?“, keuchte Schwester Venia.
„Wir können sie erreichen – flussaufwärts, vielleicht eine Stunde Weg.“
„Eine Furt ? Wie tief ist sie?“
Rainald zuckte mit den Schultern. „In einem trockenen Sommer schauen die Sandbänke heraus.“
„Wir haben aber nicht Sommer. Es ist Winter. Der Fluss ist tief. Und so kalt wie ein Grab.“
„Kälte bringt einen nicht gleich um.“
„Was glaubst du, warum sich hier eine Fähre etablieren konnte? Weil die Furt das ganze Jahr über begehbar ist? Bestimmt nicht!“
„Ich trage euch alle hinüber.“
„Rainald, du musst uns nach Trier bringen!“
Rainald bückte sich und schnürte das Bündel auf. „Blanka, meine Kleine, wir müssen ein paar Sachen hierlassen. Wir holen sie uns später wieder, einverstanden?“
Schwester Venia stampfte mit dem Fuß auf. Rainald sah verblüfft hoch. Nach ihrem verrückten Angriff auf die Wölfe hätte ihm klar sein sollen, dass sie nicht den blutleeren, vom Beten und Fasten zahm gewordenen Geschöpfen entsprach, die er bislang als Klosterschwestern kennengelernt hatte, aber ihr Zorn überraschte ihn trotz allem.
„Was ist in der Stadt, vor dem du dich fürchtest?“, rief sie. „Geht es nur darum, dass der Vorschlag nicht von dir stammt? Deine Sturheit beleidigt Gott!“
Rainald griff blind in das Bündel und kam mit einer Handvoll von Blankas Besitztümern wieder daraus hervor. „Das lassen wir hier, Blanka, ja?“
Blanka begann zu weinen.
„Wenn du es mir nicht sagen willst, frage ich die Kinder …“
Rainald ließ seine Beute wieder in das Bündel fallen. Sein Blick traf Schwester Venia. Sie machte schmale Augen. „Glaubst du, du kannst mir Angst machen?“, fragte sie leise.
„Noch so ein Vorschlag, und wir sind geschiedene Leute“, sagte Rainald.
„Also gut. Wirst du es mir erklären?“
„Nein.“
„Wirst du uns in Sicherheit bringen?“
„Ja.“
Sie nickte. Plötzlich lächelte sie. „Als du mit deinem Schwert in der Hand den Wölfen entgegengetreten bist, habe ich mir für einen Augenblick gewünscht, ein Krieger zu sein und meine Gefährten mit der Klinge verteidigen zu können“, sagte sie.
Rainald musterte sie, noch immer über den Sack gebückt. „Als ich Euch mit dem Zweig in der Hand sah, wünschte ich mir für einen Augenblick, eine Klosterschwester zu sein und einfach in den Schnee fallen zu dürfen, statt zu kämpfen.“
„Ich war wohl nicht sonderlich effektiv.“
„Ihr habt den Wolf verjagt, der Johannes … er hatte soviel Angst vor Euch, dass er Reißaus nahm.“
„Er war nur nicht darauf gefasst. Ich nehme an, er hatte mich als Nachtisch eingeplant und nicht damit gerechnet, dass das Dessert plötzlich auf ihn losgeht.“
Rainald lächelte. Er spürte es als ein Gefühl, das er verlernt zu haben glaubte. „Ihr hättet ihm bestimmt ein oder zwei Härchen gekrümmt.“
„Was glaubst du, wo die Wölfe sind?“
„Sie haben sich zurückgezogen und formieren sich neu. Der Anführer hat drei von den jungen Burschen vorgeschickt, die sich erst eine Stellung im Rudel erarbeiten müssen. Jetzt weiß er, dass es nicht so einfach ist, mit uns fertig zu werden.“ Jedenfalls hoffe ich, dass er es weiß, fügte Rainald in Gedanken hinzu. Oder besser gesagt: Ich hoffe, dass er nicht weiß, wie leicht er tatsächlich mit uns fertig werden kann.
„Bist du schon einmal über die Furt gegangen?“
„Nein. Ich weiß nur, wo sie ist.“
„Wie kommen wir dorthin? Durch den Wald?“
Rainald nickte. „Die Bäume gehen bis zum Ufer. Ich glaube, die Wölfe werden uns dort nicht angreifen.“
„Weshalb nicht?“
„Sie haben uns die ganze Zeit über nicht angegriffen; erst, als wir im Freien bei der Hütte waren. Sie wollen uns auf dem offenen Feld stellen. Zwischen den Bäumen kann das Rudel seine Taktik nicht entfalten, die Beute zu Tode zu hetzen.“
„Du hast auch geglaubt, dass sie uns niemals in der Nähe einer menschlichen Behausung anfallen würden.“
„Ja“, sagte Rainald. „Da habe ich mich getäuscht.“
Schwester

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