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Der Hirte, Teil 4 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Der Hirte, Teil 4 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition)

Titel: Der Hirte, Teil 4 (Der Hirte - eine mittelalterliche Weihnachtsgeschichte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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begannen die Ruinen bereits in die Erde zu sinken. Wer sie betrachtete, hätte vermutet, dass schon Jahre seit dem Überfall vergangen waren, nicht nur ein paar Wochen. Wo das Holz nicht schwarz versengt war, war es grau und wirkte antik und halb zerfallen. Von den Dächern herabgerutschte Heugarben lagen zwischen den Hütten und verfaulten. Vorburg und Dorf waren ein Spiegelbild von Rainalds Saal, und alle miteinander zeigten den Zustand seiner Seele.
    Rainald blickte mit steigendem Zorn darauf zurück, verdrängte die Angst, dass jemand die Kinder in ihrem Versteck finden würde, während er unterwegs war, zog an Caesars Zügel und trabte zum Wald hinauf. Unter den Bäumen warteten die, die man in jedem Wald fand, die Unzufriedenen, die Ausgestoßenen, die, die eine Rechnung mit der ganzen Menschheit zu begleichen hatten. Sie waren Rainalds letzte Verbündete.
    Mit einem Feldzug gegen die Stadt Trier würde er beginnen, einem Feldzug gegen die Kaufleute und ihre Trecks aus Waren, Gewürzen uns Lebensmitteln. Rainald wollte sich vor Selbstekel übergeben, als er auf dem Weg zum Wald und zu den Gesetzlosen war, an deren Spitze er sich gestellt hatte, aber er hatte nichts im Magen. Die Kinder hatten ebenfalls nichts im Magen. Er versuchte sich damit zu beruhigen, dass er nur seine Kinder ernähren wollte, aber es half nichts. Er war der Herr von Mandach , er war willkommen geheißen und beschenkt worden, und nun fiel er über seine Verbündeten her wie ein Wolf, ein Beschützer, der zu einem Feind geworden war.
    Deshalb wartete in Trier der Galgen auf ihn. Er hatte ihn sich verdient.

***

    Als Johannes, der mittlerweile vor seinem Vater herlief und vergessen zu haben schien, dass er verletzt war und Rainalds Schwert schleppte, stehenblieb, stupste Rainald ihn sanft an.
    „Geh weiter“, sagte er. „Wir haben’s bald geschafft.“
    Johannes blieb stehen. „Aber das sind …“
    Blanka, die halb bewusstlos in Rainalds Arm gelegen war, bewegte sich.
    „Sind wir im Himmel?“, fragte sie undeutlich.
    „Nein, meine Kleine.“
    „Ich höre aber Musik.“
    „Du hörst die Glocken der Simeonskirche “, seufzte Rainald. „Wenn wir aus dem Wald kommen, liegt Trier vor uns.“
    Er fing einen Seitenblick von Schwester Venia auf. Er gab ihn zurück. Sie lächelte und nickte ihm zu. Er zuckte mit den Schultern. Seine Seele war so wund, dass es nichts mehr zu geben schien, was sie noch mehr verletzen konnte. Das dachte er, bis er aus dem Augenwinkel einen Schatten sah, der zwischen zwei Baumstämmen verschwand.
    „Sie läuten zur heiligen Messe“, sagte Schwester Venia. „Ich gäbe was drum, jetzt unter den Messbesuchern zu sein und Gott für unsere Rettung danken zu können.“
    „Zwischen dem Waldrand und der Stadt liegen mindestens fünfhundert Schritt freies Feld“, sagte Rainald.
    „Ich weiß“, sagte Schwester Venia.
    Sie gingen weiter, plötzlich langsam, als käme es nun nicht mehr darauf an. Es kam nicht mehr darauf an, dachte Rainald. Sie waren fünfhundert Schritt von der Rettung entfernt, nur, dass der sichere Tod dazwischen stand. Die guten Bürger der Stadt würden auch nicht mehr das Vergnügen haben, ihn hängen zu sehen. Wenn es ein Vergnügen geben würde, dann das, den Wölfen dabei zuzusehen, wie sie ihn, seine Kinder und eine junge Klosterschwester auffraßen. Leider würden sie es nicht mitbekommen, weil sie allesamt in der Kirche waren.
    „Danke, Gott, dass Du bis hierher die Hand über uns gehalten hast“, sagte Schwester Venia, und Rainald schämte sich für seine zynischen Gedanken.
    Etwas in ihm schien sich gelöst zu haben. Er schrieb es der Erschöpfung und dem Wissen um den nahen Untergang zu; gleichzeitig war ihm klar, dass es tatsächlich daran lag, dass er die Momente im Saal seiner Burg noch einmal durchlebt hatte und dass er sein Leid nicht mehr hatte zurückhalten können. Nicht Johannes hatte damals versagt, sondern er. Seine Aufgabe wäre es gewesen, sein Heim und seine Familie zu verteidigen. Dass er in aller Unschuld versagt hatte, weil er nicht anders gekonnt hatte als auf die Jagd zu gehen, änderte nichts daran. Menschen machten Fehler, Menschen versagten. Es war nicht die Kunst, das Versagen zu vermeiden; die wahre Kunst war es, darum zu wissen und weiterzumachen. Er hatte nicht weitergemacht in den vergangenen Monaten; er hatte eine endlose Schleife in heulendem Schmerz, blinder Wut und gähnender Sinnlosigkeit gedreht. Alles, was er während dieser Zeit getan hatte,

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