Der Historiker
heilige Reliquie bei sich hatten.‹
Ranov zuckte mit den Schultern, aber er machte den Versuch, und Bruder Engel antwortete mit herausgeknurrten Silben und schüttelte dazu den Kopf. Meinte er Ja oder Nein, fragte ich mich. ›Noch mehr Unsinn‹, sagte Ranov. ›Diesmal klingt es wie etwas über den Einfall der Türken in Konstantinopel, also hat er wenigstens so viel verstanden.‹
Plötzlich schienen sich die Augen des alten Mannes zu klären, als hätten ihre Linsen uns zum ersten Mal wirklich in den Blick bekommen. Mitten in dem merkwürdigen Geräuschfluss, der aus ihm drang – war das Sprache? –, vernahm ich mit einem Mal klar den Namen Atanas Angelov.
›Angelov!‹, rief ich und sprach nun direkt zu dem alten Mönch. ›Kannten Sie Atanas Angelov? Erinnern Sie sich daran, mit ihm gearbeitet zu haben?‹
Ranov hörte aufmerksam zu. ›Es ist immer noch hauptsächlich Unsinn, aber ich werde versuchen, Ihnen zu übersetzen, was er sagt. Hören Sie genau zu.‹ Er fing an zu sprechen, schnell und leidenschaftslos. So wenig ich ihn mochte, so sehr musste ich doch seine Dolmetscherfähigkeiten bewundern. ›Ich habe mit Atanas Angelov gearbeitet. Vor Jahren, vielleicht Jahrhunderten. Er war verrückt. Machen Sie das Licht da drüben aus, es tut meinen Beinen weh. Er wollte alles über die Vergangenheit wissen, aber die Vergangenheit will nicht, dass man sie kennt. Sie sagt: Nein, nein. Sie springt auf und verletzt dich. Ich wollte die Nummer elf nehmen, aber die fährt nicht mehr zu uns raus. Sowieso, Genosse Dimitrow hat uns den Lohn gestrichen, den wir bekommen sollten, zum Wohl des Volkes. Gute Menschen.‹
Ranov holte Luft, wodurch wir etwas verpassen mussten, denn Bruder Engels Wortfluss strömte unvermindert. Der alte Mönch saß noch immer still auf seinem Stuhl, aber sein Kopf wackelte und Grimassen verzerrten sein Gesicht. ›Angelov fand einen gefährlichen Ort, er fand einen Ort, der Sveti Georgi hieß, er hörte das Singen. Dort haben sie einen Heiligen begraben und auf seinem Grab getanzt. Ich kann Ihnen Kaffee anbieten, aber es ist nur gemahlener Weizen, Weizen und Dreck. Wir haben nicht mal Brot.‹
Ich kniete mich vor den alten Mönch und nahm seine Hand, obwohl es schien, dass Helen mich zurückhalten wollte. Seine Hand war schlaff wie ein toter Fisch, weiß und aufgequollen, die Nägel gelb und seltsam lang. ›Wo ist Sveti Georgi?‹, flehte ich. Ich hatte das Gefühl, gleich weinen zu müssen, vor Ranov und Helen und diesen beiden ausgedörrten Menschen in ihrem Gefängnis.
Ranov kroch neben mich und versuchte, den umherirrenden Blick des Mönchs einzufangen. ›Kyde e Sveti Georgi?‹ Aber Bruder Engel war wieder seinem eigenen Blick weit in eine ferne Welt gefolgt. ›Angelov fuhr nach Athos und sah das Typikon, er ging in die Berge und fand den schrecklichen Ort. Ich nahm die Nummer elf zu seiner Wohnung. Er sagte: Komm schnell, ich habe etwas herausgefunden. Ich gehe dorthin zurück, um in der Vergangenheit zu graben. Ich würde Ihnen Kaffee anbieten, aber es ist nur Dreck. Oh, oh, er lag tot in seiner Wohnung, und dann war seine Leiche nicht in der Leichenhalle.‹ Bruder Engel brach in ein Lächeln aus, das mich zurückweichen ließ. Er hatte nur noch zwei Zähne, und sein Zahnfleisch war auf gefranst. Der Atem, der ihm aus dem Mund quoll, hätte selbst den Teufel umgebracht. Mit hoher, zitternder Stimme begann der alte Mönch zu singen.
Der Drache kam über unser Tal
Verbrannte die Ernte und stahl unsere Mädchen.
Schreckte die türkischen Ungläubigen,
schützte unsere Dörfer.
Sein Atem trocknete die Flüsse,
und wir gingen hindurch.
Als Ranov fertig übersetzt hatte, meldete sich erregt Bruder Ivan zu Wort. Die Hände steckten noch immer in seinen Ärmeln, aber sein Gesicht leuchtete interessiert. ›Was sagt er?‹, flehte ich.
Ranov schüttelte den Kopf. ›Er sagt, er habe das Lied schon einmal gehört. Von einer alten Frau aus dem Dorf Dimovo, Baba Yanka, die dort, wo der Fluss vor langer Zeit versiegt ist, eine große Sängerin ist. Es gibt dort verschiedene Feste, auf denen sie diese alten Lieder singen, und sie führt die Sänger an. Eines dieser Fest beginnt in zwei Tagen, des Fest von Sankt Petko. Vielleicht wollen Sie es hören.‹
›Noch mehr Volkslieder‹, stöhnte ich. ›Bitte fragen Sie Mr Pondev – Bruder Engel –, ob er weiß, was das Lied bedeutet.‹
Ranov stellte die Frage mit ziemlicher Geduld, aber Bruder Engel saß nur da, zuckte
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