Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
Vom Netzwerk:
der Kirche kamen, lungerte Ranov im Klosterhof. Mit zusammengekniffenen Augen sah er Helen an. ›Sie haben lange geschlafen‹, sagte er vorwurfsvoll. Ich studierte sorgfältig seine Eckzähne, als er sprach, aber sie sahen nicht schärfer als gewöhnlich aus. Wenn überhaupt etwas Besonderes an ihnen war, dann hatte er sie heruntergebissen, und sie standen grau in seinem unangenehmen Lächeln.

 
    67
     
     
     
    Ich hatte es zum Verzweifeln gefunden, wie widerwillig Ranov uns nach Rila gefahren hatte, aber jetzt machte es mich noch verrückter, dass er uns mit solch einem Enthusiasmus nach Bachkovo chauffierte. Während der Fahrt machte er uns auf alle möglichen Sehenswürdigkeiten aufmerksam, von denen viele trotz seines Kommentars wirklich interessant waren. Helen und ich versuchten einander nicht anzusehen, aber ich war sicher, dass sie von der gleichen fürchterlichen Anspannung gepeinigt wurde. Jetzt mussten wir uns auch noch wegen Jozsef sorgen. Die Straße von Plovdiv war schmal und wand sich entlang eines steinigen Flusses auf der einen und eines steilen Felsens auf der anderen Seite. Nach und nach fuhren wir wieder tiefer in die Berge hinein. In Bulgarien war man nie weit weg von den Bergen. Ich sagte das zu Helen, die auf ihrer Seite aus dem Fenster sah, hinten in Ranovs Wagen, und sie nickte. ›Balkan ist ein türkisches Wort für Berg.‹
    Das Kloster hatte keinen großen Eingang, wir bogen einfach von der Straße auf einen unbefestigten Parkplatz, und von dort war es noch ein kurzer Fußweg zum Klostertor. Bachkovski manastir lag hoch zwischen kargen Hängen, die zum Teil bewaldet waren und zum Teil nackter Fels, nahe bei einem schmalen Fluss. Schon im Frühsommer war die Landschaft trocken, und ich konnte mir gut vorstellen, wie sehr die Mönche die Wasserquelle geschätzt haben mussten. Die Außenmauern des Klosters hatten die graubraune Farbe der Berge ringsum. Das Dach war mit roten Pfannen gedeckt, wie ich sie schon auf Stoichevs altem Haus und Hunderten von Häusern und Kirchen entlang der Straßen gesehen hatte. Der Eingang zum Kloster war ein gähnender Torbogen, so finster wie ein Loch im Boden. ›Können wir einfach hineingehen?‹, fragte ich Ranov.
    Er schüttelte den Kopf, was Ja bedeutete, und wir traten in die kühle Dunkelheit des Bogens. Wir brauchten ein paar Sekunden, um in den lichten Hof zu gelangen, und während dieses Moments im Torweg konnte ich nur unsere Schritte hören.
    Vielleicht hatte ich einen weiteren großen, offenen Laubenhof erwartet, wie den in Rila mit seinen farbigen Arkaden und Holzgalerien; die vertraulich, persönlich wirkende Schönheit des Haupthofes von Bachkovo entlockte mir einen Seufzer, und auch Helen murmelte etwas. Die Klosterkirche nahm fast den ganzen Hof ein, und ihre Türme waren ziegelrot, viereckig, byzantinisch. Hier gab es keine goldenen Kuppeln, nur alte Eleganz – die einfachsten Materialien, angeordnet zu harmonischen Formen. Wein wuchs an den Kirchtürmen, Bäume schmiegten sich an sie, und eine wunderbare Zypresse erhob sich wie ein weiterer Turm direkt neben ihnen. Drei Mönche mit schwarzen Kutten und hohen schwarzen Kappen standen plaudernd vor der Kirche. Die Bäume warfen Schattenmuster auf den sonnenbeschienenen Hof; eine sanfte Brise kam auf und ließ ihre Blätter im Wind tanzen. Zu meiner Überraschung liefen hier und da Hühner herum und kratzten zwischen dem alten Pflaster, und eine gestreifte Katze jagte etwas in einen Mauerspalt.
    Wie in Rila erstreckten sich auch hier längs der dem Hof zugewandten Front lange gedeckte, nach vorn offene Laufgänge aus Stein und Holz. Die steinernen Wände einiger Galerien wie auch der Portikus der Kirche waren mit verblichenen Fresken geschmückt. Außer den drei Mönchen, den Hühnern und der Katze war niemand zu sehen. Wir waren allein, allein in Byzanz.
    Ranov ging zu den Mönchen und sprach mit ihnen, während Helen und ich uns im Hintergrund hielten. Als er zurückkam, sagte er: ›Der Abt ist nicht da, aber der Bibliothekar kann uns helfen.‹ Ich mochte das ›uns‹ nicht, sagte aber nichts. ›Sie können sich die Kirche ansehen, während ich nach ihm suche.‹
    ›Wir kommen mit Ihnen‹, sagte Helen, und zusammen folgten wir einem der Mönche in die Galerien. Der Bibliothekar arbeitete in einem Raum im Erdgeschoss. Er stand von seinem Platz auf, als wir eintraten. Der Raum war kahl bis auf einen Eisenofen und einen bunten Teppich auf dem Boden. Ich fragte mich, wo die Bücher

Weitere Kostenlose Bücher