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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Osmanen. Dieser alte Ort, so schön er war, hatte unter den Byzantinern Wurzeln geschlagen, unter Eroberern und Besatzern wie den späteren Osmanen, hatte unter armenischer, georgischer und griechischer Hoheit gestanden, und hatten wir nicht eben gehört, dass er unter den Osmanen auch unabhängig gewesen war, im Unterschied zu den anderen bulgarischen Klöstern? Kein Wunder, dass die Regierung hier Bäume auf dem Dach wachsen ließ. Der Bibliothekar führte uns in ein Eckzimmer. ›Das Krankenzimmer‹, erklärte Ranov. Dass Ranov sich plötzlich so kooperativ erwies, machte mich Stunde um Stunde nervöser. Der Bibliothekar zog eine klapprige alte Tür auf, und hinter ihr bot sich uns ein Bild, das so schmerzlich war, dass ich nicht gern daran zurückdenke. Zwei alte Mönche wohnten hier. Im Raum standen nur ihre Pritschen, ein einzelner Holzstuhl und ein Eisenofen. Selbst mit diesem Ofen musste der Raum während des Winters so hoch in den Bergen bitterkalt sein. Der Boden bestand aus Steinplatten, die weiß getünchten Wände waren bis auf den kleinen Altar in einer Ecke kahl und nackt: eine Lampe und über einem fein geschnitzten Brett ein stumpf gewordenes Bild der Jungfrau.
    Einer der alten Männer lag auf seiner Pritsche und nahm keine Notiz von uns, als wir hereinkamen. Nach einer Weile sah ich, dass seine Augen wohl für immer geschlossen waren, geschwollen und rot, und dass er das Kinn von Zeit zu Zeit bewegte, als wollte er damit sehen. Er war fast ganz mit einem weißen Laken zugedeckt, und eine seiner Hände betastete den Rand der Pritsche, als wolle er die Grenze seines Raumes finden, den Punkt, an dem er herunterfallen könnte, wenn er nicht vorsichtig war. Mit der anderen Hand befühlte er das faltige Fleisch seines Halses.
    Der agilere Bewohner des Raumes saß aufrecht auf dem einzigen Stuhl, und ein Stecken lehnte an der Wand neben ihm, als wäre die Reise von der Pritsche auf den Stuhl lang und anstrengend gewesen. Er trug schwarze Gewänder, die ohne Gürtel über den vorstehenden Bauch hingen. Seine Augen waren geöffnet, groß und blau, und sie richteten sich mit einem unheimlichen Blick auf uns, als wir eintraten. Bartstoppeln standen wie weißes Unkraut von ihm ab, aber sein Schädel war kahl. Das vor allem verlieh ihm ein krankes, unnormales Aussehen, dieser unbedeckte Kopf in einer Welt, in der alle Mönche ständig ihre großen schwarzen Kappen trugen. Der kahlköpfige Mönch hätte als Illustration für einen Propheten in einer Bibel aus dem neunzehnten Jahrhundert getaugt, sah man davon ab, dass sein Ausdruck alles andere als visionär war. Er zog seine große Nase kraus, als rieche er etwas Unangenehmes, kniff die Augen zusammen und weitete sie wieder. Ich konnte nicht sagen, ob er ängstlich blickte, höhnisch oder diabolisch amüsiert, denn sein Ausdruck wechselte ständig. Sein Körper und seine Hände ruhten auf dem schäbigen Stuhl, als wären alle Bewegungen, die sie hätten machen können, hinauf in dieses zuckende Gesicht gesaugt worden. Ich wandte mich ab.
    Ranov sprach mit dem Bibliothekar, der im Raum herumdeutete. ›Der Mann dort auf dem Stuhl ist Pondev‹, sagte Ranov tonlos. ›Der Bibliothekar warnt uns, dass wir kaum normale Antworten von ihm bekommen werden.‹ Ranov näherte sich dem Mann vorsichtig, als glaubte er, Bruder Engel könnte ihn beißen, und sah ihm in die Augen. Bruder Engel – Pondev – warf den Kopf herum, um ihn anzusehen, das Abbild der Bewegung eines Tieres im Zoo. Ranov schien zu versuchen, uns vorzustellen, und nach einer Weile wanderten die übernatürlich blauen Augen des Bruders auf unsere Gesichter. In seinem Gesicht zuckte es, und die Haut runzelte sich. Dann sprach er, und die Worte kamen in einem Schwall, gefolgt von einem knirschenden Durcheinander, einem Knurren. Eine seiner Hände fuhr in die Luft und machte ein Zeichen, das genauso gut ein angedeutetes Kreuzzeichen hätte sein können wie der Versuch, uns zu verscheuchen.
    ›Was sagt er?‹, fragte ich Ranov mit leiser Stimme.
    ›Nur Unsinn‹, erwiderte Ranov interessiert. ›Ich habe so etwas noch nie gehört. Es scheinen teilweise Gebete zu sein, irgendwas Abergläubisches aus ihrer Liturgie, und dann geht es um das Bussystem in Sofia.‹
    ›Könnten Sie versuchen, ihm eine Frage zu stellen? Sagen Sie ihm, wir sind Historiker wie er, und wir wollen wissen, ob im späten fünfzehnten Jahrhundert eine Gruppe Pilger aus der Walachei über Konstantinopel hergekommen ist, die eine

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