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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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fünfzehnten Jahrhunderts in Nürnberg gedruckt worden, einige waren noch vor Vlads Tod erschienen. Die Erwähnung Nürnbergs ließ mich frösteln; nur wenige Jahre zuvor hatte ich akribisch genau die dortigen Prozesse gegen die Naziführer verfolgt. Ich war ein Jahr zu jung gewesen, um Soldat zu werden, und hatte die Nachkriegsereignisse mit all dem Eifer der davon Ausgeschlossenen verfolgt. Der Sammelband hatte ein Frontispiz, einen Holzschnitt von Schultern und Kopf eines stiernackigen Mannes mit großen dunklen Augen und schweren Lidern, der einen großen Schnurrbart, von Wangenknochen zu Wangenknochen, und einen aufgeschlagenen Hut mit einer Zier vorne über langem, schwarzem, lockigem Haar trug. Das Bildnis war überraschend lebendig, trotz seiner Technik.
    Ich wusste, ich sollte mit meiner Arbeit fortfahren, aber ich konnte nicht anders, als den Anfang einer der Flugschriften zu lesen. Sie berichtete über Verbrechen, die Dracula an seinen eigenen Leuten begangen hatte, und auch an anderen Menschen. Ich könnte dir wiederholen, was da stand, aber ich tue es lieber nicht – es war äußerst verstörend. Ich klappte den kleinen Band zu, stellte ihn wieder ins Regal und ging zurück an meinen Arbeitsplatz. Das siebzehnte Jahrhundert beanspruchte meine Aufmerksamkeit noch fast bis Mitternacht. Das merkwürdige Buch mit dem Drachen ließ ich zugeschlagen auf meinem Pult liegen und hoffte, sein Besitzer würde es da am nächsten Tag finden. Dann fuhr ich nach Hause und ging zu Bett.
    Am nächsten Morgen musste ich zu einer Vorlesung. Ich war noch müde vom Abend vorher, aber nach der Stunde trank ich zwei Tassen Kaffee und ging zurück an meine Arbeit. Das alte Buch lag immer noch da, jetzt aber aufgeschlagen, und zeigte den sich windenden Drachen. Nach der kurzen Nacht und meinem dürftigen Mittagessen erfüllte mich das Bild mit Schrecken, wie man in alten Romanen zu sagen pflegt. Ich sah mir das Buch etwas sorgfältiger an. Die Illustration war eindeutig ein Holzschnitt, vielleicht eine mittelalterliche Arbeit, ein Beispiel für hohe Buchkunst. Ich dachte, dass man durchaus Bares dafür bekommen könnte, es aber vielleicht irgendeinem Studenten gehörte, da es ganz offenbar kein Bibliothekseigentum war.
    In der Stimmung, in der ich war, wollte ich mich mit dem Bild nicht weiter beschäftigen. Etwas ungeduldig schloss ich das Buch und arbeitete bis zum späten Nachmittag an meinen Kaufmannsgilden. Auf meinem Weg aus der Bibliothek machte ich bei der Information Halt und gab den Band einem der Bibliothekare, der versprach, ihn in den Schrank für Fundsachen zu legen.
    Am nächsten Morgen um acht jedoch, als ich mich an meinen Platz begab, um an dem Kapitel weiterzuarbeiten, lag das Buch erneut auf meinem Tisch, aufgeschlagen, mit der einzigen grausigen Illustration. Die Sache ging mir langsam auf die Nerven – wahrscheinlich hatte der Bibliothekar mich missverstanden. Ich stellte das Buch schnell auf mein Bücherbrett und arbeitete den ganzen Tag, ohne ihm noch einen Blick zu schenken. Am späten Nachmittag hatte ich ein Treffen mit meinem Doktorvater, und als ich meine Papiere einsammelte, um sie mit ihm durchzugehen, zog ich auch das merkwürdige Buch hervor und legte es dazu. Ich folgte damit einem Impuls: Ich wollte das Buch nicht behalten, aber Professor Rossi hatte Freude an historischen Rätseln, und ich dachte, es könnte ihm gefallen. Vielleicht vermochte er es auf Grund seines profunden Wissens über europäische Geschichte gar zu identifizieren.
    Für gewöhnlich traf ich mich mit Rossi nach seiner Nachmittagsvorlesung, und ich stahl mich gerne vorher noch in den Hörsaal, um ihn in Aktion zu erleben. In diesem Semester las er über die mediterrane Welt der Antike, und ich hatte den Schluss einiger seiner Vorlesungen verfolgt, jede einzelne brillant und dramatisch, getragen von seinem großartigen erzählerischen Talent. Als ich mich auf einen der hinteren Plätze schlich, kam ich gerade noch rechtzeitig, um zu hören, wie er eine Diskussion über die Restauration des Minoer-Palastes auf Kreta durch Sir Arthur Evans zusammenfasste. Das Licht in dem riesigen neugotischen Saal, der rund fünfhundert Studenten fasste, war gedämpft. Auch die Stille hätte zu einer Kathedrale gepasst. Niemand rührte sich, alle Augen waren wie gebannt auf die schlanke Person vorn gerichtet.
    Rossi stand allein auf der beleuchteten Bühne. Manchmal ging er hin und her und entwickelte dabei seine Gedanken, als ob er mit sich

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