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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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auch in noch größere Gefahr bringen. Ungewollt seufzte ich laut.
    »Versuchen Sie mir Angst zu machen, damit ich Ihnen das Buch überlasse?« Sie klang jetzt etwas weicher, und ich sah ein amüsiertes Lächeln um ihren sonst so strengen Mund spielen. »Ich glaube, das ist es.«
    »Nein, das versuche ich nicht. Aber ich wüsste gern, wer da nicht wollen würde, dass sich jemand das Buch ausleiht.« Ich stellte meine Tasse hin und sah sie fragend an.
    Ihre Schultern bewegten sich ruhelos unter dem leichten Wollstoff ihrer Kostümjacke. Ich sah ein langes Haar auf dem Revers, eines ihrer eigenen dunklen Haare. Auf dem schwarzen Material glänzte es kupfrig. Sie schien sich zu etwas durchzuringen. »Wer sind Sie?«, fragte sie plötzlich.
    Ich nahm die Frage akademisch. »Ich bin Doktorand. Ich promoviere in Geschichte.«
    »Geschichte?«, warf sie schnell und fast zornig ein.
    »Ich arbeite über den Handel der Niederlande im siebzehnten Jahrhundert.«
    »Oh.« Sie schwieg einen Moment. »Ich bin Anthropologin«, sagte sie schließlich. »Aber ich interessiere mich auch sehr für Geschichte. Ich beschäftige mich mit den Gebräuchen und Traditionen des Balkans und Mitteleuropas, besonders meiner…« – ihre Stimme senkte sich ein wenig, aber eher traurig als geheimnistuerisch –, »meiner Heimat Rumänien.«
    Jetzt war ich verblüfft. Das wurde alles immer sonderbarer. »Lesen Sie deshalb Dracula?«, fragte ich.
    Ihr Lächeln überraschte mich – ihre weißen, ebenmäßigen Zähne schienen ein wenig klein für dieses kräftige Gesicht. Ihre Augen leuchteten. Dann presste sie die Lippen wieder zusammen. »So könnte man es wohl ausdrücken.«
    »Sie beantworten meine Fragen nicht«, sagte ich.
    »Warum sollte ich?« Sie zuckte mit den Schultern. »Sie sind ein mir völlig fremder Mann, der ein von mir ausgeliehenes Buch will.«
    »Sie könnten in Gefahr sein, Miss Rossi, und ich versuche nicht, Ihnen Angst zu machen. Das ist mein voller Ernst.«
    Sie schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Sie verbergen doch auch etwas vor mir«, sagte sie. »Ich rede nur, wenn Sie reden.«
    Ich hatte nie eine Frau wie diese gesehen, getroffen oder gar mit ihr gesprochen. Sie war kampfeslustig, dabei ohne jede Koketterie. Was sie sagte, kam mir wie ein Schwimmbecken mit kaltem Wasser vor, in das ich nun hineinsprang, ohne weiter über die Folgen nachzudenken.
    »Also gut. Aber Sie beantworten meine Frage zuerst.« Ich gebrauchte jetzt ihren Ton. »Wer, glauben Sie, will nicht, dass Sie dieses Buch haben?«
    »Professor Bartholomew Rossi«, sagte sie voller Sarkasmus, mit kratzender Stimme. »Wenn Sie bei den Historikern sind, kennen Sie ihn vielleicht?«
    Ich war völlig perplex. »Professor Rossi? Wie… wie meinen Sie das?«
    »Ich habe Ihre Frage beantwortet«, sagte sie, setzte sich auf, zog sich die Jacke zurecht und legte die Handschuhe fein säuberlich übereinander, als wäre ihr Teil damit erledigt. Ich fragte mich flüchtig, ob sie es genoss, mich auf ihre Worte hin stammeln zu sehen. »Und jetzt erzählen Sie mir, was dieses ganze Drama zu bedeuten hat und warum ein Buch gefährlich sein sollte.«
    »Miss Rossi«, sagte ich. »Bitte. Ich werde es Ihnen erklären. Was immer ich kann. Aber bitte sagen Sie mir, in was für einer Beziehung Sie zu Professor Bartholomew Rossi stehen.«
    Sie beugte sich nach unten, öffnete ihre Aktentasche und zog ein ledernes Etui heraus. »Stört es Sie, wenn ich rauche?« Zum zweiten Mal sah ich in ihr diese maskuline Leichtigkeit, die sich ihrer zu bemächtigen schien, wenn sie ihre damenhaften Gesten beiseite ließ. »Möchten Sie auch eine?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hasste Zigaretten, obwohl ich aus dieser schlanken, weichen Hand fast eine angenommen hätte. Sie inhalierte ohne großes Drumherum wie eine Gewohnheitsraucherin. »Ich weiß nicht, warum ich einem Fremden das alles erzähle«, sagte sie nachdenklich. »Wahrscheinlich ist es die Einsamkeit hier. Ich habe seit zwei Monaten kaum mit jemandem über etwas anderes als meine Arbeit gesprochen. Und Sie scheinen mir nicht zu denen zu gehören, die gleich alles herumerzählen müssen. In meinem Fachbereich gibt es genug davon.« Ihr Akzent trat jetzt voll zu Tage, und ihre Worte kamen mit leichter Bitterkeit. »Aber wenn Sie Ihr Versprechen halten wollen…« Ihr Ausdruck wurde wieder hart wie zu Beginn, sie setzte sich auf und hielt die Zigarette herausfordernd vor sich hin. »Mein Verhältnis zum berühmten Professor

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