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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Rossi ist ziemlich einfach. Oder sollte es zumindest sein. Er ist mein Vater. Er traf meine Mutter, als er in Rumänien war und nach Dracula suchte.«
    Mein Kaffee schwappte über den Tisch, auf meinen Schoß, mein Hemd, das, wie gesagt, auch vorher nicht das sauberste gewesen war, und ein Spritzer traf sogar ihre Wange. Sie wischte mit der Hand darüber und starrte mich an.
    »Großer Gott, es tut mir so Leid.« Ich versuchte, die Schweinerei aufzuwischen, und benutzte dafür meine und ihre Serviette.
    »Wenn das so ein Schock für Sie ist«, sagte sie bewegungslos, »müssen Sie ihn wirklich kennen.«
    »Aber sicher«, sagte ich. »Er ist mein Doktorvater. Aber er hat mir nie von Rumänien erzählt, und dass er… dass er Familie hat.«
    »Er hat keine Familie.« Die Kälte in ihrer Stimme kroch mir bis ins Mark. »Ich habe ihn nie getroffen, obwohl ich annehme, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und zog die Schultern hoch, als wollte sie mich daran hindern, ihr näher zu kommen. »Einmal habe ich ihn gesehen, aus der Entfernung, bei einer Vorlesung. Stellen Sie sich vor, dass Sie Ihren Vater so zum ersten Mal sehen.«
    Ich legte die Servietten zu einem triefenden Haufen zusammen und schob dann alles zur Seite, den nassen Haufen, Tasse und Löffel. »Warum?«
    »Es ist eine eigenartige Geschichte«, sagte sie und sah mich alles andere als gedankenverloren an, eher, als registrierte sie jede einzelne meiner Reaktionen. »Oder nein, es ist eine Geh-mit-ihr-ins-Bett-und-lass-sie-dann-sitzen-Geschichte…« Das klang komisch mit ihrem Akzent, wenn auch nicht so, dass es mich zum Lächeln gebracht hätte. »… Und damit wohl gar nicht so außergewöhnlich. Er lernte meine Mutter in ihrem Dorf kennen, genoss eine Weile ihre Gesellschaft und ließ ein paar Wochen später nichts als eine Adresse in England zurück. Als er weg war, stellte sich heraus, dass meine Mutter schwanger war, und dann half ihr ihre Schwester, die in Ungarn lebte, nach Budapest zu fliehen, bevor ich geboren wurde.«
    »Er hat mir nie erzählt, dass er in Rumänien war.« Ich krächzte mehr, als dass ich sprach.
    »Das überrascht mich nicht.« Sie zog bitter an ihrer Zigarette. »Meine Mutter schrieb ihm aus Ungarn an die Adresse, die er ihr gegeben hatte, dass sie ein Kind von ihm bekam. Er schrieb zurück, dass er keine Ahnung habe, wer sie sei und wie sie an seinen Namen gekommen sein könne: Er sei nie in Rumänien gewesen. Können Sie sich etwas so Grausames vorstellen?« Ihre großen schwarzen Augen schienen mich zu durchbohren, während sie sprach.
    »In welchem Jahr wurden Sie geboren?« Ich kam nicht auf den Gedanken, mich vorher für meine Frage zu entschuldigen; diese Helen war so anders als alle Frauen, die ich bis dahin getroffen hatte, dass alle gewöhnlichen Regeln außer Kraft gesetzt schienen.
    »1931«, sagte sie tonlos. »Meine Mutter war mit mir einmal ein paar Tage in Rumänien, als ich von Dracula noch nicht mal gehört hatte. Aber selbst da wollte sie nicht zurück nach Transsilvanien.«
    »Mein Gott.« Ich flüsterte die Worte auf die Tischplatte. »Mein Gott. Ich dachte, er hätte mir alles erzählt, aber davon hat er nichts gesagt.«
    »Was hat er Ihnen erzählt?«, fragte sie scharf.
    »Warum sind Sie nicht zu ihm gegangen? Weiß er nicht, dass Sie hier sind?«
    Sie sah mich seltsam an, antwortete aber ohne großes Zögern. »Es ist ein Spiel – ich nehme an, so könnten Sie es nennen. Eine Laune von mir.« Sie machte eine Pause. »An der Universität in Budapest war ich gar nicht so schlecht. Im Gegenteil, da hielten sie mich für eine Art Genie.« Sie sagte das fast bescheiden. Ihr Englisch war wirklich außergewöhnlich gut, das wurde mir jetzt erst richtig bewusst – übernatürlich gut. Vielleicht war sie tatsächlich ein Genie.
    »Meine Mutter hatte nicht mal die Grundschule beendet, ich weiß, das klingt unglaublich, aber später dann hat sie einiges nachgeholt. Als ich sechzehn war, ging sie auf die Universität. Natürlich hat meine Mutter mir von meinem väterlichen Erbe erzählt, und man kennt Professor Rossis herausragende Bücher sogar in unseren düsteren Ecken des Ostblocks – über die minoische Kultur, religiöse Kulte im Mittelmeerraum, die Zeit Rembrandts. Weil er mit so viel Verständnis über die englische Linke schreibt, erlaubt unsere Regierung den Verkauf seiner Bücher. Ich habe Englisch bis zum Abitur gelernt, und wollen Sie wissen, warum? Damit

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