Der Hobbit
nicht dort gewesen sind, um nachzusehen. Nach dem, was auf der Karte steht, würde ich vermuten, dass es eine verschlossene Tür ist, die man so angelegt hat, dass sie genauso aussieht wie alles Übrige an diesem Berghang. So machen es die Zwerge doch gewöhnlich, nicht wahr?«
»Sehr richtig«, sagte Thorin.
»Außerdem«, fuhr Gandalf fort, »habe ich vergessen zu sagen, dass zu der Karte noch ein Schlüssel gehört, ein kleiner, merkwürdiger Schlüssel. Hier ist er!« Er gab Thorin einen Schlüssel mit langem Schaft und fein gezacktem silbernem Bart. »Verwahre ihn gut!«
»Und ob!«, sagte Thorin und befestigte ihn an einem Kettchen, das er unter der Jacke um den Hals trug. »Nun werden unsere Aussichten schon etwas besser. Diese Neuigkeit gibt uns Hoffnung. Bisher hatten wir keine klare Vorstellung, was wir tun können. Wir hatten vor, so still und heimlich wie möglich nach Osten zu gehen, bis zum Langen See. Und da würden dann die Probleme anfangen –«
»Schon viel früher, nach allem, was ich über die Straßen nach Osten weiß«, unterbrach ihn Gandalf.
»Von da könnten wir den Eilend flussaufwärts bis zu den Ruinen von Thal fahren«, fuhr Thorin fort, ohne den Einwand zu beachten, »der alten Stadt, die dort zu Füßendes Berges liegt. Aber keiner von uns konnte sich mit dem Gedanken befreunden, dort durch das Haupttor zu gehen. Der Fluss kommt durch die große Klippe auf der Südseite des Berges direkt daraus hervor, und auch der Drache kommt da heraus – und zwar viel zu oft, wenn er seine Gewohnheiten nicht geändert hat.«
»Das ginge nicht«, sagte der Zauberer, »es sei denn, du hättest einen mächtigen Krieger oder sogar einen Helden. Ich habe versucht, einen zu finden, aber die Krieger bekämpfen sich lieber gegenseitig in fernen Ländern, und Helden sind hier in der Gegend rar oder schlicht unauffindbar. Die Schwerter sind in dieser Gegend meistens stumpf, die Äxte gebraucht man nur zum Bäumefällen, die Schilde als Wiegen für die kleinen Kinder oder als Topfdeckel; und die Drachen sind so angenehm weit weg, dass sie schon als Fabeltiere gelten. Darum habe ich mich für Diebstahl und Einbruch entschieden, besonders als ich mich an die Hintertür erinnerte. Und hier haben wir Bilbo Beutlin, den Meisterdieb, den berufenen und auserwählten Experten. Also lasst uns nun zur Sache kommen und Pläne machen.«
»Schön«, sagte Thorin, »unser Experte hat doch gewiss ein paar Ideen oder Vorschläge.« Er sah Bilbo spöttisch erwartungsvoll an.
»Zunächst mal wüsste ich gern etwas mehr über die Angelegenheit«, sagte Bilbo, innerlich ratlos und mit einem flauen Gefühl, aber immer noch mit der echt tukschen Entschlossenheit, die Sache, nachdem er sich einmal auf sie eingelassen hatte, voranzutreiben. »Ich meine, über das Gold und den Drachen und all das, wie ist es dort hingekommen, wem gehört es, und so weiter und so fort.«
»Meine Güte!«, sagte Thorin. »Haben Sie die Karte nichtgesehn? Haben Sie unser Lied nicht gehört? Und haben wir nicht eben stundenlang über all dies geredet?«
»Trotzdem, ich würde es alles gern noch mal klar und deutlich hören«, sagte er stur und setzte eine sachliche Miene auf (wie sonst nur gegenüber Leuten, die sich von ihm Geld zu leihen versuchen). Er gab sich Mühe, klug, bedachtsam und professionell zu wirken, so wie ihn Gandalf empfohlen hatte. »Außerdem wüsste ich gern Näheres über Risiken, Kostenerstattung, Zeitaufwand und Honorar«, sagte er – und meinte damit: »Was habe ich davon? Und werde ich lebendig zurückkehren?«
»Meinetwegen«, sagte Thorin. »Vor vielen, vielen Jahren, zur Zeit meines Großvaters Thror, wurde unsere Familie aus dem hohen Norden vertrieben und kehrte mit all ihren Schätzen und Werkzeugen zu diesem Berg zurück, den man auf der Karte sieht. Schon mein Urahn Thrain der Alte hatte den Berg entdeckt, aber nun gruben sie viele Stollen und Schächte, erweiterten die Hallen und Werkstätten – und außerdem, glaube ich, fanden sie einiges an Gold und Edelsteinen. Jedenfalls, sie wurden unermesslich reich und berühmt, und mein Großvater war wieder König unter dem Berge und wurde von den sterblichen Menschen hoch in Ehren gehalten, die weiter im Süden lebten und sich allmählich den Eilend hinauf ausbreiteten, bis zu dem Tal, das im Schatten des Berges liegt. Dort bauten sie damals die Stadt Thal – eine Stadt voller Leben. Könige schickten nach unseren Schmieden, und sogar die
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