Der Hochzeitsvertrag
verärgert, ließ er ihre Hand los. "Da es dir wieder so weit gut geht, dass ich dich alleine lassen kann, werde ich mich um deine Unterbringung kümmern. Bleib bitte in diesem Zimmer. Wir versuchen, alle Erkrankten so gut wie möglich zu isolieren." Flüchtig deutete er eine Verbeugung an, drehte sich um und verließ den Raum.
Emily setzte sich auf. Ihr Korsett und der steife, mit Rosshaar verstärkte Unterrock, der ihre Röcke glockenförmig aufbauschte, machten ihr das Liegen auf Dauer nicht gerade angenehm. Tausend Fragen kamen ihr in den Sinn, kaum dass Nicholas fort war. Und Emily bekam Angst. Nervös nestelte sie an den Bändern der Capote auf ihrem Kopf. An welchen Symptomen erkannte man die Cholera? Wie lange dauerte die Krankheit? Wie viele Infizierte überlebten sie?
Sie blickte um sich. Bücher. Regale voll gestopft mit Büchern. In irgendeinem dieser Bücher musste sie doch Antworten auf ihre Fragen finden können!
Langsam erhob sie sich von der Sitzbank und überflog die in Leinen und Leder geprägten Titel auf den Buchrücken. Eine Materia Medica , die in Augenhöhe stand, fiel ihr auf. Sie zog das Werk aus dem Regal und stellte überrascht fest, dass ein Zettel den Beginn des Abschnitts markierte, der sich auf die Cholera bezog. Nicholas hatte offenbar denselben Gedanken gehabt wie sie.
Mit dem voluminösen Band in der Hand ließ sie sich wieder auf der Sitzbank nieder und begann zu lesen. Leider waren dem Text nur wenige Fakten zu entnehmen. Heilmittel wurden genannt, die bei manchen Erkrankten genützt, bei anderen aber den Tod rascher herbeigeführt hatten. Warum die Krankheit so plötzlich und unvorhersehbar ausbrach, wie sie von einem Ort zum anderen gelangte, das blieb unklar, und die gelehrten Verfasser, die darüber Bescheid wissen sollten, äußerten dazu nur Vermutungen.
Minuten später kam Nicholas zurück. "Ich sehe, du nutzt deine Zeit sinnvoll. Findig wie immer, stimmts?"
Sie blätterte um, während sie zu ihm aufsah. "Wie lange ist Joshua schon krank?"
"Zwei Tage, nachdem wir Lissabon hinter uns gelassen hatten, bekam er Fieber. Zwei andere Besatzungsmitglieder ebenfalls. Alles deutete auf Cholera hin. Alle drei waren an Land gegangen. Sie müssen sich die Krankheit irgendwo in der Stadt zugezogen haben."
Emily war entsetzt. "Sie haben einem kleinen Jungen erlaubt, sich mit zwei Seeleuten in einem fremden Hafen zu vergnügen? Wie leiten Sie eigentlich Ihr Frachtunternehmen, Mylord?" Die förmliche Anrede schien ihr jetzt wieder passend zu sein.
Er zog die Augenbrauen hoch. "Einer der Seeleute war der Captain, ein Mann, den du kennst und schätzt. Ich selbst war nicht an Bord. Captain Roland hatte geschäftlich an Land zu tun und hielt es nicht für klug, einen kleinen Jungen ohne vernünftige Betreuung an Bord zu lassen. Deshalb hat er ihn netterweise mitgenommen."
"Oh!" meinte Emily zerknirscht und biss sich auf die Oberlippe. "Captain Roland ist auch erkrankt?"
"Leider ja. Ein Glück, dass ich in den Jahren auf See gelernt habe, den Kurs selbst zu berechnen, und uns heil nach Bournesea bringen konnte. Auf dem Meer ist es fast nicht möglich, so eine Krankheit richtig zu behandeln." Ohne auf ihre entschuldigende Geste einzugehen, fuhr er fort: "Ich ließ die drei, auch Joshua, in der größten Kabine unterbringen, die verfügbar war. Der Doktor erbot sich freiwillig, sie zu pflegen und sich vom Rest der Mannschaft fern zu halten. Wir ankerten in der Bucht und kamen nach Einbruch der Nacht vor drei Tagen hierher. Von der Mannschaft ist bislang niemand mehr infiziert worden, deshalb hoffen wir, dass die Gefahr gebannt ist."
"Was ist mit den Bediensteten?" erkundigte Emily sich. Unfassbar, dass nichts davon im Ort bekannt geworden ist!
"Ich bin allein vorausgegangen und konnte aus sicherer Entfernung mit dem Torwächter sprechen. Dem habe ich den Befehl erteilt weiterzugeben, dass das gesamte Personal Bournesea binnen einer Stunde zu verlassen und sich in Kendale House in London einzufinden habe, um dort auf weitere Anweisungen zu warten."
"Und die Leute haben Ihrer Aufforderung Folge geleistet? Einfach so? Ohne Sie auch nur gesehen zu haben?"
"Sie haben getan, was ihnen aufgetragen wurde. Mag sein, dass sie neugierig gewesen sind. Sie haben mir jedenfalls den Gehorsam nicht verweigert. Mein Vater hat sie in dieser Hinsicht gut geschult."
Emily nickte und verkniff sich einen Kommentar zum Umgang des alten Earl mit dem Personal. "Der Doktor ist trotz des Kontakts mit Joshua
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