Der Hügel des Windes
Ausgrabungen, dem weichen, schlammigen Terrain. Und mit dieser Sintflut, wie es sie seit Menschengedenken nicht mehr gegeben hat.«
Auch ich sprang auf die andere Seite und wurde gleich von einem kurzen Schwindel erfasst, als balancierte ich auf dem Geländer eines Wolkenkratzers. Mein Vater bemerkte es und sagte: »Du bist wirklich ein Hosenschisser, Ninabella hatte recht. Lass uns wieder die Seite wechseln. Nicht, dass du mir noch hineinfällst.«
Bei dem Sprung hielt er meine Hand fest, wie er es getan hatte, wenn ich als Kind in Schwierigkeiten steckte. »Komm«, sagte er, ohne den Griff zu lockern. »Du musst noch eine Wahrheit erfahren, bevor ich sterbe.« Und er brachte mich zu dem Rosenstock, der unter der Krone des großen Olivenbaumes wuchs, an derselben Stelle, wo mein Urgroßvater Alberto den antiken Münzschatz vergraben hatte. Und wirklich, der runde Stein mit dem eingeritzten K lag noch dort, reingewaschen und glänzend vom Regenwasser.
Mein Vater zog die Coppola ab, der Wind fuhr ihm durch das volle Haar. Ich sah ihn wortlos an, er senkte die Augenauf den Rosenstock und drückte kraftvoll meine Hand: »Hierunter ruht deine Mutter.« Das sagte er mit fester Stimme, in der nur eine leichte Rührung mitschwang, als enthülle er mir eine Wahrheit, auf die er stolz war. »Sie wollte es so, sie hat mich inständig darum gebeten, immer wieder.«
Ich sah ihm fest in die Augen: Du hast recht, Simona, mein Vater ist verrückt und ich ein Narr, dass ich seinen Wahn unterstütze.
»Ich bin nicht verrückt, ich habe nur den letzten Willen der Frau erfüllt, die ich am meisten im Leben geliebt habe. Du hättest dasselbe getan, wenn sie dich darum gebeten hätte.«
Meine stille Hoffnung, dass es nicht stimmte, dass mein Vater mich belog, um meine Reaktion zu testen oder einen schaurigen Spaß mit mir zu treiben, erwies sich als falsch.
»Marisa hatte keine Angst vor dem Tod, sie begegnete ihm mit erhobenem Haupt und einem Lächeln, sicher, dass ich mein Versprechen halten würde«, sagte mein Vater. »Sie vertraute mir blind, trotz unserer ständigen Streitereien.«
Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, auch nicht vor mir: Ihr graute bei der Vorstellung, in einem dunklen Zementloch zu enden, verschlossen durch einen Marmorstein mit dem lächelnden Foto samt Geburts- und Sterbedatum darauf. Den Rossarco jedoch hatte sie vom ersten Moment an geliebt, als sie ihn mit den Blicken gestreichelt hatte: Gab es einen besseren Ort zu ruhen als zwischen den Wurzeln des großen Olivenbaumes, über den antiken Steinen einer geheimnisumwitterten Stadt, im Duft des ewigen Lebens?
Es war einfacher gewesen als gedacht, fuhr mein Vater fort. Nach der Beerdigung stand Marisas Sarg eine Nacht lang inder Friedhofskapelle, auf einem von elektrischen Kerzen beleuchteten Tisch. Am nächsten Tag sollte sie in der Grabnische Nummer 28 beigesetzt werden.
Mitten in der Nacht durchschritt mein Vater das Friedhofstor und betrat die Kapelle. Um den Sarg flatterten Hunderte von Nachtschwärmern, unermüdlich, als tanzten sie im Sog des Lichts. Sie schraken nicht vor ihm zurück, vor seinem Schatten, der durch den Raum ging, den Sarg öffnete, Marisas klares Antlitz betrachtete, sich zwei verräterische Tränen wegwischte, die ersten seit ihrem Tod. Die Nachtschwärmer tanzten mitleidvoll weiter. Er küsste Marisa auf die eisigen Lippen. »Ich werde dich immer lieben«, sagte er ihr, dann nahm er sie auf die Arme, sie wog kaum mehr als vierzig Kilo, legte sie vorsichtig auf ein Leinenlaken, das Mammasofì ihr zur Hochzeit geschenkt hatte und das sie wegen seiner weichen Frische liebte. Er wickelte sie sorgfältig ein, ließ ihr Gesicht frei, als könne sie das Geschehen mitverfolgen, dann bettete er sie vorsichtig in den Panda und fuhr los, nachdem er den Sarg mit zwei Zementblöcken darin gut verschlossen hatte.
Er fuhr umsichtig, ruhig, um nicht aufzufallen, sollte ihm jemand begegnen. Er wusste genau, welches Risiko er einging. Wenn sie ihn entdeckt hätten, sagte mein Vater, wäre er jetzt nicht hier, um mir seine Geschichte zu erzählen, sie hätten ihn ins Gefängnis oder in die Psychiatrie gesteckt. Doch es war tiefe Nacht, die Leute schliefen um diese Zeit, nur ein Fuchs kreuzte seinen Weg auf der schmalen Straße, während ein Schwarm Nachtfalter ihm vom Friedhof aus zu folgen schien.
Der Hügel lag im hellen Licht des Vollmonds, er brauchte die Taschenlampe nicht einzuschalten. Vom Meer stieg einefeuchte Brise auf, die sich
Weitere Kostenlose Bücher