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Der Hueter und das Kind

Der Hueter und das Kind

Titel: Der Hueter und das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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ohnehin nicht ...
    Er stieg hinab und genoß das Bad in der Menge.
    Man nickte ihm zu, freundlich, überschwenglich, begeistert. Und wer den Blick seiner nachtfarbenen Augen auf sich spürte, mochte zwar frösteln, aber er glaubte es der Ehre wegen zu tun. Das taxierende Moment darin fiel niemandem auf. Der Vampir ließ sich Zeit mit seiner Wahl. Es blieben ihm noch Stunden zu entscheiden, wer ihm in dieser Nacht die Gunst erweisen durfte .
    Und die Stunden verstrichen.
    Die Stimmung der vornehmen Gesellschaft wurde ausgelassener.
    Alsbald beschränkte sich das Geschehen nicht mehr nur auf die Halle im Erdgeschoß. Man zog sich zurück, Paarweise oder zu mehreren. Die Geräuschkulisse veränderte sich Helles Lachen aus jungen und dunkleres aus nicht mehr ganz jungen Kehlen wehte durch die Flure des Palazzos. Spitze Schreie zeigten, daß irgendwo der Gipfel der Lust erstürmt worden war.
    Dennoch leerte sich die Empfangshalle nicht. Die Zahl der Menge schwankte lediglich, und das an und abschwellende Raunen der Stimmen veränderte sich in seinem Volumen kaum, als versuchten jene, die hier zurückblieben, den Verlust auszugleichen, indem sie einfach lauter sprachen.
    Doch dann erstarben sie - mit einemmal, alle zugleich.
    Tinto erstarrte in grotesker Haltung - eine rothaarige Schönheit lag zurückgebeugt in seinen Armen, weil sie ihm ausgewichen war, als er (noch) spielerisch nach ihrem schlanken Hals geschnappt hatte ...
    Ihr Kichern war das einzige Geräusch, das blieb, und es klang in der sonstigen Stille überlaut, schmerzte fast in den Ohren.
    Tinto setzte ihm ruppig ein Ende, während er sich schon umwandte.
    Die Menge teilte sich, wie es weiland das Rote Meer vor Moses' Stab getan haben mochte.
    Eine einzelne Gestalt schritt in dem Spalier einher, klein und unscheinbar und völlig fehl am Platze - und doch wirkte jede seiner Regungen und Bewegungen auf absurde Weise bedrohlich.
    Der Vampir ging dem neuen »Gast« entgegen, begleitet von Blicken aus Dutzenden von Augenpaaren, in denen Unmut und Verwirrung sich die Waage hielten.
    »Was suchst du hier?« fragte Tinto streng, aber unüberhörbar auch verunsichert.
    »Dich«, antwortete Gabriel.
    Im Kelch
    . .. schrie Nehru!
    Aber es war nicht Schmerz, der ihn quälte. Sondern allein die Erkenntnis dessen, wozu er verdammt worden war.
    Des »Schlafes« beraubt, der ihn bislang vor diesem Wissen beschützt hatte, erkannte er nun, was ihm angetan worden war. Erfuhr, was es hieß, gestorben und doch nicht tot zu sein. Was es bedeutete, zwischen den Welten gefangen zu sein - körperlos, nur Geist und ...
    ... ALLEIN!
    Allein?
    Nehru suchte in der Schwärze - blind und taub - nach jener Kraft, deren Trost er »schlafend« gespürt hatte.
    Wo war sie? Verschwunden?
    Nein, sie war noch da. Doch sie offenbarte sich der Kelchseele nun ganz anders, zeigte ihr wahres Gesicht, das sie bisher hinter der Schwärze verborgen gehalten hatte. Sie brach aus der Finsternis hervor, explodierte darin, zerriß den tarnenden Kokon.
    Die grenzenlose Güte, die Wärme, die bedingungslose Liebe, die Nehru zuvor daraus erfahren hatte - dies alles verging. Machte etwas Platz, für das ihm nur ein Begriff einfiel:
    Zorn!
    Doch es war keine schlichte Wut, wie Nehru sie selbst zu Lebzeiten kennengelernt hatte.
    Dies hier war der Zorn eines . Gottes?
    Die Erkenntnis stand in völligem Widerspruch zu dem, was seine Mutter einst aus jenem Buch vorgelesen hatte. Stets war da von einem gütigen, liebenden Gott die Rede gewesen .
    Nehru, die einzige im Kelch verbliebene Seele, fand keine Gelegenheit, dies alles weiter zu ergründen.
    Die Kraft um ihn her entfachte einen Sturm, ließ die Schwärze brodeln und kochen.
    Und in diesem Tosen erfuhr Nehru alles: die Hintergründe, die Beweggründe - den Plan eines zornigen Schöpfers ...
    Das Wissen stürmte binnen einer nicht meßbaren Zeitspanne auf ihn ein. Doch blieb ihm nicht genug Zeit, es zu verarbeiten.
    Denn die tobende Kraft fuhr aus dem Kelch - und riß die einzige Seele darin mit sich.
    Hinaus. Dorthin, wo sie eine neue Heimstatt finden sollte. Doch es warteten derer mehr als nur eine.
    Nehru hing körperlos im Nichts, erspürte ein Dutzend verschiedener Richtungen, in die es seinen Geist zog und zerrte. Überall dort harrte seelenlose Leere darauf, gefüllt zu werden.
    Und Nehrus Seele -
    - zersplitterte! Zerriß unter dem Sog seelenberaubter Toter, die jeder ein Stück seines Ichs für sich beanspruchten.
    Und erhielten.
    *
    Zwei Stimmen

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