Die Rettung Raphael Santiagos: Die Chroniken des Magnus Bane (6) (German Edition)
Cassandra Clare/Sarah Rees Brennan
Die Chroniken des Magnus Bane
D IE R ETTUNG R APHAEL S ANTIAGOS
Aus dem Amerikanischen
von Ulrike Köbele
Eine gewaltige Hitzewelle rollte im Spätsommer des Jahres 1953 über die Stadt. Die Sonne brannte mit solcher Macht, dass sich ihre Strahlen wie Faustschläge anfühlten. Selbst das Pflaster schien nachzugeben; jedenfalls wirkte der Bürgersteig irgendwie flacher als sonst. In der Bowery schraubten Jungs einen Hydranten auf, um sich unter der Wasserfontäne ein wenig Erfrischung zu verschaffen.
Es musste an der Sonne gelegen haben, dachte Magnus später, dass er auf einmal den Wunsch verspürt hatte, Privatdetektiv zu werden. An der Sonne und dem Raymond-Chandler-Krimi, den er gerade gelesen hatte.
Der Plan hatte allerdings einen Haken. Auf den Buchcovern und Filmplakaten sahen die meisten Detektive aus, als hätten sie sich für eine Kleinstadt-Sause in Schale geworfen. Diesen Schandfleck seines neuen Betätigungsfeldes wollte Magnus gerne auslöschen. Seine Kleidung sollte natürlich der Profession angemessen sein, dabei aber unbedingt auch schön anzusehen und stets nach der allerneusten Mode. Also ersetzte er den Trenchcoat durch ein graues Jackett mit Aufschlägen aus grünem Samt. Hinzu kam eine Melone mit adrett geschwungener Krempe.
Die Hitze war jedoch so drückend, dass er das Jackett ausziehen musste, kaum dass er aus der Tür getreten war. Aber was zählte, war der Gedanke. Im Übrigen trug er immer noch smaragdgrüne Hosenträger.
Sein Entschluss, Privatdetektiv zu werden, hatte allerdings nicht rein modische Gründe. Als Hexenmeister wurde er immer wieder von Menschen – nun ja, nicht jeder mochte sie als Menschen bezeichnen – aufgesucht, die ihn um magische Unterstützung bei einem Problem baten und gegen Bezahlung auch bekamen. Ganz New York wusste inzwischen, dass Magnus ein Hexenmeister war, der einem aus der Patsche half. Es gab in Brooklyn natürlich auch eine Zufluchtsstätte, in der man bei Bedarf untertauchen konnte, aber die Hexe, die sie leitete, löste keine Probleme. Magnus löste Probleme. Warum sollte er sich also nicht dafür bezahlen lassen?
Er hatte nicht angenommen, dass ihm im selben Moment, in dem er sich entschloss, Privatdetektiv zu werden, und die Worte M AGNUS B ANE , P RIVATDETEKTIV in fetten schwarzen Lettern auf sein Fenster malte, ein Auftrag in den Schoß fallen würde. Doch dann – als hätte jemand dem Schicksal seinen Entschluss ins Ohr geflüstert – geschah genau das.
Magnus kehrte gerade von der Eisdiele zurück, als er sie vor seiner Wohnung stehen sah, und war wirklich froh, dass er mit seiner Eiswaffel schon fertig war. Sie war ganz offensichtlich eine jener Irdischen, die genug über die Schattenwelt wussten, um sich an Magnus zu wenden, wenn sie mit ihrem Latein am Ende waren.
Er lüftete zur Begrüßung den Hut und fragte: »Kann ich Ihnen behilflich sein, Ma’am?«
Vor ihm stand keine dieser kurvigen Blondinen, bei denen der klassische Romandetektiv alles stehen und liegen ließ, um ihr zur Hilfe zu eilen. Sie war dunkelhaarig und eher klein und vielleicht nicht gerade schön, aber sie strahlte eine solche Intelligenz aus, gepaart mit Witz und Charme, dass Magnus trotzdem nur allzu gern bereit war, ihre Wünsche zu erfüllen. Ihr kariertes Kleid war schon etwas abgetragen, stand ihr dank dem Gürtel, der ihre schmale Taille zur Geltung brachte, aber ausgesprochen gut. Sie schien Ende dreißig zu sein und damit im selben Alter wie Etta, Magnus’ derzeitige Gefährtin. Die dünnen Augenbrauen, die unter ihren schwarzen Locken zum Vorschein kamen, verliehen ihrem herzförmigen Gesicht etwas Herausforderndes, das sie noch attraktiver und zugleich noch Respekt einflößender erscheinen ließ.
Sie reichte ihm ihre winzige Hand. Ihr Griff war erstaunlich fest. »Ich bin Guadalupe Santiago«, sagte sie. »Sie sind ein …« Sie wedelte mit der Hand. »Ich kenne die genaue Bezeichnung nicht. Ein Zauberer, ein Magier.«
»Sie können mich ›Hexenmeister‹ nennen, wenn Sie mögen«, antwortete Magnus. »Aber das spielt keine Rolle. Was Sie meinen, ist: Jemand, der die Fähigkeit hat, Ihnen zu helfen.«
»Ja«, erwiderte Guadalupe. »Ja, genau das meinte ich. Ich brauche Ihre Hilfe. Ich möchte, dass Sie meinen Sohn retten.«
Magnus bat sie hinein. Jetzt, da sie ihren Sohn erwähnt hatte, glaubte er zu verstehen, worum es hier ging. Es kamen immer wieder Leute zu ihm, die um Heilung baten. Nicht so häufig
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