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Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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befürchten.«
    Raoul lachte verächtlich.
    »Ich kann Ihnen versichern, dass Sie nichts zu befürchten haben, Madame. Binden Sie mir Hände und Füße, wenn Sie wollen.«
    Seine Worte hatten nicht die Wirkung, die er erhofft hatte, denn Madame Exe murmelte ungerührt:
    »Danke, Monsieur«, und ging mit der Schnur in der Hand auf ihn zu.
    Plötzlich hörte man von Simone hinter dem Vorhang einen Schrei.
    »Nein, nein, Raoul, das darfst du nicht zulassen!«
    Madame Exe lachte höhnisch.
    »Sie haben wohl Angst, Madame?«, bemerkte sie sarkastisch.
    »Ja, ich habe Angst.«
    »Überlege dir, was du sagst, Simone«, sagte Raoul. »Madame Exe denkt offensichtlich, dass wir Scharlatane sind.«
    »Ich muss sichergehen«, sagte Madame Exe.
    Unter diesem Vorwand setzte sie ihre Absicht in die Tat um, indem sie Raoul an seinem Stuhl festband.
    »Ihre Knoten sind zu bewundern, Madame«, bemerkte er ironisch, als sie fertig war. »Sind Sie jetzt zufrieden?«
    Madame Exe erwiderte nichts darauf. Sie ging im Zimmer umher und untersuchte eingehend die Holztäfelung der Wand. Dann schloss sie die Tür zum Flur ab und kehrte, nachdem sie den Schlüssel eingesteckt hatte, zu ihrem Stuhl zurück.
    »Jetzt«, sagte sie mit einer Stimme, die nicht zu beschreiben war, »bin ich fertig.«
    Die Minuten vergingen. Hinter dem Vorhang hörte man Simones Atemzüge schwerer und angestrengter werden. Dann hörte man nichts mehr als ein Stöhnen, mehrere Male. Dann herrschte wieder Schweigen für eine kleine Weile, die vom plötzlichen Schlagen des Tamburins unterbrochen wurde. Das Horn wurde vom Tisch gehoben und auf den Fußboden geschleudert. Der Vorhang vor dem Alkoven schien ein wenig zurückgezogen worden zu sein. Man sah nur das Gesicht des Mediums durch den Spalt hindurch. Der Kopf war vornüber auf die Brust gefallen. Plötzlich hielt Madame Exe den Atem an. Ein Nebelgebilde erschien vor dem Medium, verdichtete sich und begann langsam Form anzunehmen, die Gestalt eines kleinen Kindes.
    »Amelie! Meine kleine, Amelie!«
    Das heisere Flüstern kam von Madame Exe. Die verschwommene Gestalt verdichtete sich weiter. Raoul starrte fast ungläubig darauf. Niemals vorher hatte er einer so erfolgreichen Materialisierung beigewohnt. Jetzt, jetzt war es ein richtiges Kind, ein Kind aus Fleisch und Blut, das da stand.
    »Mama!«
    Die kindliche Stimme hatte das geflüstert.
    »Mein Kind!«, schrie Madame Exe. »Mein Kind!«
    Sie erhob sich von ihrem Stuhl.
    »Seien Sie vorsichtig, Madame«, warnte Raoul.
    Zögernd trat die Erscheinung durch den Vorhang hindurch. Es war ein Kind. Es stand da und streckte die Arme aus.
    »Mama!«
    »Madame!«, schrie Raoul entsetzt. »Das Medium…«
    »Ich muss es anfassen«, keuchte Madame Exe.
    Sie machte einen Schritt nach vorn.
    »Um Gottes willen, Madame, beherrschen Sie sich!«, schrie Raoul. Jetzt begann ihn Panik zu ergreifen. »Setzen Sie sich sofort wieder hin.«
    »Mein Kleines, ich muss sie berühren.«
    »Madame, ich befehle Ihnen, setzen Sie sich!«
    Er riss und zerrte an seinen Fesseln. Aber Madame Exe hatte gute Arbeit geleistet, er war hilflos. Die schreckliche Vorahnung von etwas Grauenhaftem überkam ihn.
    »Im Namen Gottes, Madame, setzen Sie sich!«, brüllte er. »Denken Sie an das Medium.«
    Madame Exe hatte keine Ohren für ihn. Sie war wie verwandelt. Ekstase und Entzücken spiegelten sich auf ihrem Gesicht. Ihre ausgestreckte Hand berührte das kleine Gesicht, das im Spalt des Vorhangs stand. Ein schreckliches Stöhnen kam von dem Medium.
    »Mein Gott!«, schrie Raoul. »Mein Gott! Das ist ja grauenhaft. Das Medium…«
    Madame Exe wandte sich ihm mit hartem Lachen zu.
    »Was geht mich Ihr Medium an?«, schrie sie. »Ich will mein Kind.«
    »Sie sind wahnsinnig!«
    »Es ist mein Kind. Hören Sie. Mein eigenes Fleisch und Blut! Mein Kleines, komm zurück zu mir, komm zu deiner Mama.«
    Raoul öffnete den Mund, aber er brachte keinen Laut hervor. Die Lippen des Kindes öffneten sich, und wieder hörte man das Wort: »Mama!«
    »Dann komm, mein Kleines, komm!«, schrie Madame Exe.
    Und mit einer heftigen Bewegung riss sie das Kind in ihre Arme. Hinter dem Vorhang hörte man den lang gezogenen Schrei grenzenloser Angst.
    »Simone!«, schrie Raoul. »Simone!«
    Er bemerkte nur am Rande, dass Madame Exe an ihm vorbeihastete, dass sie die Tür aufschloss. Dann hörte er Schritte, die sich immer weiter entfernten und die Treppen hinunterliefen.
    Vom Vorhang her drang ein schrecklicher lang gezogener

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