Der Hund im Kuehlschrank
auf die vielseitigen Fragen des Lebens?
Informationskultur – Erzählkultur
Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, sich mitzuteilen. Von jeher haben Menschen sprechend, tanzend, malend, musizierend oder singend das in die Welt getragen, was ihnen wichtig und mitteilenswert erschien. Sie verständigten sich über Bilder wie beispielsweise Höhlenzeichnungen, über rhythmische Klänge wie z. B. Buschtrommeln und über das gesprochene Wort. Erzählen ist sinnlich: Das Ohr lauscht, der Atem strömt, das Auge beobachtet, die Hände malen Zeichen in die Luft, das Gesicht schneidet Grimassen, der ganze Körper ist in Bewegung. Ein Zuhörer nimmt einen Erzähler auf verschiedenen Sinnesebenen wahr, und in seinem Kopf entsteht dabei eine Reihe innerer Bilder.
Jeder Zuhörer macht sich seine eigene Vorstellung von dem, was er hört. Dieselben Worte rufen bei verschiedenen Menschen ganz unterschiedliche Assoziationen hervor. Eine Karikatur bringt dies auf witzige Weise zum Ausdruck: Auf dem Bild sieht man einen Mann und eine Frau, die sich auf der Straße unterhalten. Der Mann sagt: »Gestern kam mir ein Bärtiger entgegen! « Über seinem Kopf schwebt dabei eine Denkblase, in der ein Mann mit langem Rauschebart zu sehen ist. Seine Begleiterin, die ihm aufmerksam zuhört, hat ebenfalls eine Denkblase über ihrem Kopf. In dieser ist ein seltsames Tier abgebildet: Es hat einen Bärenkopf und einen Tigerkörper – ein Bär-Tiger.
Durch das Mitteilen – das miteinander Teilen – gerade auch von unterschiedlichen Vorstellungsbildern, entstehen Kontakt, Nähe, Verbindung und Vertrautheit. Im mündlichen Erzählen ist das Wort dabei fest mit dem Atemfluss und der Stimme verbunden. Gesprochene Sprache ist körperlich, während Schriftsprache und die Möglichkeiten der »Fernmündlichkeit« die Worte vom Körper trennen. Zwischen Sender und Empfänger entsteht eine räumliche Distanz. Kontakte rund um die Welt sind heute eine Selbstverständlichkeit. In Sekundenschnelle flitzt eine E-Mail von Japan nach New York. Über das Handy sind die meisten Menschen jederzeit erreichbar, egal ob sie im Zug sitzen, auf einem Berggipfel stehen – falls sie dort Empfang haben – oder in der Badewanne liegen. Aber wer äußerlich erreichbar ist, ist deswegen nicht automatisch innerlich präsent. Die äußere Distanz führt nicht selten auch zu einer inneren Entfernung. Das Auge sieht oder das Ohr hört zwar die Informationen, aber das menschliche Gegenüber und die Wahrnehmung der Körpersprache – der Mimik, Gestik und Bewegung – fehlen.
Ein Freund aus England erzählte mir neulich, dass er einmal zu seinem Sohn sagte: »Come on, let’s chat this evening.« Sein Sohn begab sich daraufhin am Abend an den Computer, um mit seinem Vater zu chatten, was wörtlich übersetzt ja eigentlich »plaudern« bedeutet. Dieser jedoch saß im Wohnzimmer, in Erwartung einer gemütlichen Unterhaltung. Zwei Wege der Kommunikation mit unterschiedlichen Qualitäten und Möglichkeiten. Der eine Weg direkt und unmittelbar, der andere indirekt, durch den Computer vermittelt. Die eine Gesprächssituation ist nicht automatisch »besser« als die andere, denn für beide Wege der Kommunikation ist eine grundlegende Erzählkompetenz erforderlich, damit die Begegnung gelingt. Erzählkompetenz umfasst ein Gefühl für das Wesentliche in einem Gespräch, für Qualität und Relevanz des Gesagten. Zu ihr gehören aber auch die Auswahl geeigneter Erzählstoffe, eine bildhafte Sprache, ein lebendiger Ausdruck, ein Gefühl für Rhythmus und Struktur und nicht zuletzt bewusste Aufmerksamkeit für den oder die Zuhörer. Erzählkompetenz kann man lernen. Am besten durch positive Vorbilder und Erfahrung.
Jeder weiß, wie langweilig eine Unterhaltung ist, wenn keiner etwas Rechtes zu sagen hat. Man kann sich hoffnungslos in den Kommunikationsforen des Internets verlieren, wenn man nicht im Inneren weiß, was man wirklich mitteilen möchte, was man von anderen wissen will und worin der Kern einer Unterhaltung besteht. Gerade im grenzenlosen Möglichkeitsfeld des World Wide Web ist das Auswählen, Ordnen, Strukturieren und Verknüpfen einzelner Informationen zu einem stimmigen Ganzen – vor allem auch im Kontakt mit anderen Webnutzern – entscheidend. Bei einer derartigen Quantität an Fakten bedarf es
eines ausgeprägten Bewusstseins für Qualität. Dieses Bewusstsein muss geschult werden: Was ist denn überhaupt ein »guter« Text oder eine »gute« Geschichte?
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