Der Hundeknochen
Methode arbeiten raffinierte Reklamespots, die nur für Bruchteile von Sekunden ein Bild aufblitzen lassen; zu kurz für den Betrachter, um es richtig zu erkennen, doch lang genug, um sich in dessen Unterbewußtsein einzubrennen, wo es dann ruht, bis es im richtigen Augenblick wieder aktiviert wird; und der richtige Augenblick ist gekommen, wenn der Konsument vor dem Regal mit den hundert Sorten Rasierschaum steht und, scheinbar zufällig, nach genau der Marke greift, die in dem Werbespot eingeblendet wurde.
Lange bevor ich diesen Rasierschaumgedanken zu Ende gedacht hatte, war ich von der Parkbank aufgesprungen. Ich mußte noch einmal in Salms Wohnung.
50.
Das Foto zeigte eine einmastige, etwa zwölf Meter lange Segeljacht mit weißem Rumpf und Edelholzaufbauten. Sie hatte ein Spiegelheck mit der Aufschrift Frau Holle, ein märchenhafter Name für ein traumhaft schönes Schiff.
Der Mann im Steuerstand war Salm. Seine Körperhaltung drückte aus, daß jemand an seiner Seite stand. Aber bei der Vergrößerung des Schnappschusses hatte man den Ausschnitt so gewählt, daß diese Person wegfiel. Im Hintergrund sah man ein paar andere Boote, blauen Himmel, blaues Wasser und einen schmalen Streifen Land. Eine Bootsanlegestelle, wie es sie Hunderte im Mittelmeer gab. Auf den ersten Blick.
Bei meinem zweiten und genaueren Hinschauen sah ich auf dem Landstreifen ein weißes Gebäude mit markantem weißen Turm: Es war die zu einem Restaurant umgebaute Salzmühle auf Formentera.
Wir hatten Freitag nachmittag, und die Digitalanzeige des Videorecorders blinkte 14:05. Es wurde knapp.
Ich wählte Wegeners Nummer, hörte aber nicht ihn persönlich, sondern nur seine Stimme, die mir die Bürozeit mitteilte: von 9 Uhr morgens bis 17 Uhr. Ich wählte die Zentrale der Versicherungsgesellschaft, wies auf die Bürozeit bis 17 Uhr hin und bekam die empörte Antwort, heute sei schließlich Freitag.
»Könnten Sie mir denn eine Auskunft geben, ob eine bestimmte Summe an einen Versicherungsnehmer ausgezahlt…«
»Schon mal was von Datenschutz gehört?«
An einem Quiz wollte ich nicht teilnehmen. Ich hängte ein und rief ein Reisebüro an, fragte, wann der nächste Flug nach Ibiza ginge. »Morgen, aber alles besetzt.«
»Und dann?«
»Nächste Woche, wir sind noch nicht in der Hauptsaison. Wie wär’s mit Rhodos, Tunesien, Izmir?«
»Nein, es soll schon Ibiza, genaugenommen Formentera sein.«
»Dann müßten Sie einen Linienflug nehmen, aber der geht über Barcelona, mit vier Stunden Aufenthalt. Moment mal« – ich hörte, wie sie in den Computer tippte – »hm, schlecht, die Wochenendflüge zwischen Barcelona und Ibiza sind immer ausgebucht. Wie wär’s mit Zwischenstopp Madrid?« Wieder Tastengeräusche, dann: »Sieht auch nicht gut aus.«
»Startbahn vereist?«
Sie lachte. »Nein, das Bodenpersonal streikt. Ich schätze, vor Montag ist auch da nichts zu machen.«
»Gibt es sonst noch eine Möglichkeit?«
»Eigentlich dürfte ich das gar nicht sagen, aber Sie könnten, wenn Sie’s so eilig haben, ja auch mit dem Auto fahren und dann vom Festland mit der Fähre übersetzen; von Barcelona oder Valencia nach Ibiza oder von Denia direkt nach Formentera.«
»Was schulde ich Ihnen für den Tip?«
»Ist Service.«
Ich rief Judith im Schuhgeschäft an und fragte, ob sie Lust hätte, einen Ausflug zu machen. Sie hatte, und ich beantwortete ihre Fragen.
»Nein, nicht zu den Rheinwiesen. Ich dachte an Ibiza und Formentera. – Och, ich will mir dort das Angebot an Segeljachten anschauen. – Wann? Nun, ich dachte, in etwa einer halben Stunde bei dir zu sein. – Was heißt, so schnell? Wenn man ein Schnäppchen machen will, muß man flink sein. – Sag, jemand sei gestorben oder klage über Bauchschmerzen.«
Während ich mit Judith sprach, betrachtete ich durch die Jalousien des Panoramafensters die fast mannshohen Bäume auf dem Balkon. Wind zerrte an den Blättern und Zweigen, und ich überlegte, wie wohl das Wetter im westlichen Mittelmeer war.
»Und noch etwas: Such ein Paar schöne Segelschuhe aus, meine Größe. Bis gleich.«
Kaum hatte ich aufgelegt, bimmelte die Türglocke, dazu ertönte das Pochen einer Faust und der Befehl: »Aufmachen! Polizei!«
Zum erstenmal seit meinem Berufswechsel traf mich die volle Wucht dieser beiden Worte; bislang war der Ärger immer von der anderen Seite gekommen, was den Vorteil gehabt hatte, daß da die Fronten klar gewesen waren: Kämpfen mit Klauen und Zähnen und
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